KURZstummfilmfestival – Im Gespräch mit Simone Bury und Richard Poser

Interview von Oliver Bruskolini

Essen, 21.02.2019

Am 31. März ist der Einsendeschluss für das vierte KURZstummfilmfestival. Am 17. und 18. Mai werden die eingesandten Filme im Zuge des Festivals in der Zeche Carl in Essen präsentiert und abschließend von einer sechsköpfigen Jury prämiert.

Insgesamt werden drei Jurypreise und zwei Publikumspreise vergeben. Die Kategorien in diesem Jahr sind die Publikumspreise für Freitag und Samstag sowie die Jurypreise für den besten Film, die beste Low-Budget-Produktion und die beste Umsetzung des diesjährigen Mottos „gelb“.

Obwohl die Vorbereitungen für das Festival bereits in vollem Gange sind, haben Simone Bury und Richard Poser, die beiden Initiatoren der jährlichen Veranstaltung, Zeit gefunden, um mit uns über das KURZstummfilmfestival zu sprechen und Einblicke in die Hintergründe der Veranstaltung zu gewähren.

 

 

 

Das vierte KURZstummfilmfestival steht an und ihr seid sicher schon im Vorbereitungsstress. Danke, dass ihr euch trotzdem Zeit für dieses Interview nehmt. Letztes Jahr lautete die Themenvorgabe „RAUM“, dieses Jahr ist das Motto „gelb“. Wie seid ihr auf das Thema gekommen? Und wie eng sollten Teilnehmer es auslegen?

R.P.:    Die Inspiration für die Themenvorgabe des nächsten Festivals ergibt sich meistens, während wir die Beiträge sichten. Die beste Idee hat einer von uns, wenn er vom Klo kommt. Wir tauschen unsere Gedanken dazu aus und das Thema entsteht dann aus so einer Klo-Idee.

S.B.:    Das Thema „gelb“ hat sich auch plötzlich so ergeben. Klar, die Inspiration sind die drei Grundfarben in unserem Logo. Wir hatten im ersten Jahr schon das Thema „roter Faden – Faden rot“ – was aus der Idee der Doppeldeutigkeit entstanden ist.

R.P.:    Ja, aber wir wollten nicht immer nur Farben als Thema nehmen. Letztes Jahr war „Raum“ unser Motto und das kam aus einer Assoziation, weil wir vorher über Zeit gesprochen haben.

S.B.:    Hm, und wie eng sollten Einreichende das Thema auslegen? Es muss nicht so eng sein. Wir machen da eigentlich keine Vorgaben. Zum Beispiel könnte die Abwesenheit von Gelb letztlich auch Gelb bedeuten. Das zu beurteilen, wollen wir uns nicht anmaßen. Dafür gibt es die Jury, die das bewertet.

R.P.:    Die Jury vergibt extra den Themenpreis, mit dem die beste Umsetzung des Themas ausgezeichnet wird. Als Veranstalter möchten wir da keine Grenze ziehen und auch nichts zensieren. Ausschlusskriterien gibt es aber schon, etwa wenn Sprache benutzt wird, ganz gleich ob verbal oder Gebärdensprache. Ebenso sind Schriftsprache und Zwischen- sowie Untertitel nicht zulässig. Auch die Länge ist ein Ausschlusskriterium. Und  bei zu vielen Filmeinreichungen kann es sein, dass wir welche rausnehmen. Das ist aber erst einmal vorgekommen.

 

 

Besonders interessant ist die Tatsache, dass sich die Jury aus drei hörenden und drei gehörlosen Mitgliedern zusammensetzt. Aus eigenem Interesse und für die Verschriftlichung des Interviews: Gibt es eigentlich eine korrekte Bezeichnung für Menschen, die nichts hören können? Was sagt man? Gehörlose? Taube? Nicht-Hörende? Die Frage stellt sich im Alltag nicht so häufig.

S.B.:    Um diese Frage gibt es tatsächlich rege Diskussionen. Ich habe es schon so erlebt, dass die Bezeichnung „taub“ bevorzugt wird. Alternativ geht auch „Gehörlos“, das sag ich glaub ich auch häufig. Der Begriff „Hörgeschädigt“ wird zwar auch oft benutzt, aber ist in der Community eigentlich nicht so gern gesehen. Genauso wie „Hörbehindert“. Das ist schwierig.

R.P.:    Das hat ja auch schon wieder was von einer Defizitbezeichnung. Das ist genauso schlimm wie „Betroffene“, da merkt man sofort das Top-Down-Gefälle.

S.B.:    Klar ist auf jeden Fall, dass der Begriff „stumm“ hier ganz zu streichen ist. Der hat einfach nichts mit Hören oder Gebärdensprache zu tun. Unser Festival soll das auch klar machen, hier steht der Begriff „stumm“ ganz klar für „ohne Sprache“. Also egal ob Lautsprache oder Gebärdensprache, wenn die nicht vorhanden ist, dann ist das stumm. Also wirklich sprachfrei!

 

 

Und wie gestaltet sich der Auswertungsprozess bei der Kombination aus hörenden und tauben Juroren? Gibt es verschiedene Perspektiven, die sich beispielsweise daraus ergeben, dass gesanglose Musik erlaubt ist?

R.P.:    Vor allem bei unserem „One-Shot“-Festival gab es eine prägende Situation, die gezeigt hat, wie die Musik das Wahrnehmen beeinflusst. Damals hatten wir eine Jury-Verteilung von zwei Hörenden und drei Tauben. Die drei tauben Juroren haben sofort einen Film aus der Wertung genommen, weil er für sie schlicht langweilig war. Die Hörenden konnten das nicht nachvollziehen. In diesem speziellen Fall hat die Musik den Film getragen. Eine andere Situation hat sich beim ersten Festival ergeben. In einem Film gab es einen Blackscreen. Im Hintergrund waren Geräusche zu hören. Die Hörenden wussten natürlich, dass noch etwas folgt. Die Tauben dachten dagegen, dass der Film vorbei wäre.

S.B.:    Das hat schon zu starken Irritationen geführt. Aber es geht auch andersherum. Zum Beispiel beim Film „Hase und Fuchs“. Der Film wurde von Gehörlosen produziert und er war visuell scheinbar für die Personen, die taub waren, ganz anders ansprechend. Der Film war ein bisschen wie ein Gebärdensprache-Witz aufgezogen. Das konnten, glaube ich, die Hörenden nicht nachvollziehen.

Zur Musik wollte ich noch sagen, dass diese, glaube ich, auch die erlebte Zeit verkürzt, weil da einfach noch was passiert und Musik meist hoch emotional ist.

R.P.:    Das ist wie im Theater. Die richtige Musikauswahl kann das ganze Werk schon aufpeppen. Eine ganze Story komplett ohne Musik zu erzählen, ist schon eine eigene Kunst. Was auch zu Irritationen in den Diskussionen der Jury geführt hat, waren stummgeschaltete Gespräche. Wie früher in den Stummfilmen. Als Hörende wissen wir, dass nicht gesprochen wird. Für einen Tauben sieht es aber aus, als ob ein Gespräch stattfindet. Ganz streng ausgelegt wurde auch so argumentiert, dass es auch stummgeschaltet als Sprache gälte, falls jemand in der Lage ist, Lippen zu lesen.

S.B.:  Außerdem finde ich an dem Beispiel interessant, dass hier zwar von zwei Personen das gleiche gesehen wird, aber dennoch anders wahrgenommen werden kann.

Das ist wie bei einem Film, der mal beim letzten Festival lief, in dem Klopfen an einer Tür gezeigt wurde. Man hörte das Klopfen und sah das Bild der Hand. Im ersten Moment denkt man: toll, so ist es für beide gleich. Aber dann ist mir aufgefallen, nein, es hätte halt trotzdem eine Lichtklingel sein müssen, damit für alle das Gefühl der Dringlichkeit da ist, was ein Klopfen oder klingeln auslösen kann.

R.P.:    Daraus ergibt sich auf jeden Fall eine deutliche Distanz.

S.B.:    Und es ergeben sich andere Interpretationen.

 

 

Die Vorläuferveranstaltung, das „KURZfilmfestival“, feierte 2013 Premiere im Jugendhilfezentrum für Hörgeschädigte. Wie seid ihr damals auf die Idee gekommen, eine solche Veranstaltung zu organisieren? Was waren eure Beweggründe?

S.B.:    Ich habe damals in dem Jugendzentrum gearbeitet. Wir haben öfter Filme gedreht. Da kam auch der Wunsch auf, die eigenen Arbeiten zu zeigen. Das waren sozusagen Filme von gehörlosen Kindern und Jugendlichen für gehörlose Kinder und Jugendliche. Dann ergab sich die Idee, dass man auch Hörende miteinbeziehen kann. In einem zweiten Durchlauf habe ich also eine zweite Jugendgruppe angefragt, mit hörenden Kindern. Alle haben Filme ohne Sprache mit dem Thema „Die Reise zum Mond – oder auch nicht“ gedreht. Das kam gut an. Also lag die Idee nahe, das ganze größer aufzuziehen. Da habe ich dann den Kontakt zu Richard gesucht, weil ich dachte, das ist die richtige Person mit der ich das machen kann.

R.P.:    Ich glaube, das war so eins von unseren Bahngesprächen.

S.B.:    Gut möglich. Auf jeden Fall haben wir das Ganze dann zusammen eine Spur größer in der Zeche Carl aufgezogen.

 

 

Seit damals hat sich sicher einiges geändert, vor allem wohl die Größe der Veranstaltung. So finden das Festival und die Preisverleihung regelmäßig in der Zeche Carl statt, einem doch recht bekannten Veranstalter im Essener Kulturleben. Wie geht es euch mit dem Erfolg? Wie beeinflusst er eure Arbeit?

S.B.:    Ich würde es bisher noch nicht richtig als Erfolg bezeichnen, es ist noch kein Selbstläufer. Wir haben uns zwar schon einen Namen gemacht, aber es ist jedes Mal harte Arbeit, das zu veranstalten und immer wieder bekannt zu machen, dass Filme eingereicht werden. Für mich ist es erst ein richtiger Erfolg, wenn es sich etabliert hat – ich hoffe in den nächsten fünf Jahren passiert es. Aber jede Veranstaltung für sich ist natürlich ein Erfolg.

R.P.:    Bei der Veranstaltung selbst, in Hinblick auf die Zuschauerzahlen und das Feedback, kann man schon von einem Erfolg sprechen. Wir haben es gesehen, als wir ein Jahr weniger Arbeit in Werbung und Sichtbarkeit investiert haben. Da hatten wir viel weniger Einreichungen. Es ist also immer noch arbeitsaufwendig, vor allem für Simone, die Leute anspricht und Kontakte knüpft.

S.B.:    Es gibt einfach viel Konkurrenz – es gibt super viele Veranstaltungen und Möglichkeiten seine Freizeit zu verbringen. Durch das Internet und die Vielzahl an Anbietern ist der Bedarf an so einem Festival nicht mehr so da. Früher hätte ich mir eine solche Fülle an Veranstaltungen gewünscht.

Ein Vergleich zu den Vorläuferveranstaltungen lässt sich kaum ziehen. Das Grundkonzept ist seit dem ersten Festival „Roter Faden“ aber gleich.

R.P.:    Ja, das Grundkonzept ist gleich. Damals haben wir nur viel mehr mit Seminaren und Workshops gearbeitet.

S.B.:    Das vermisse ich schon ein bisschen.

R.P.:    Im Großen und Ganzen ist es aber noch das gleiche Grundkonzept und Klinkenputzen wie damals.

 

 

Als Feuilleton für Sprache interessiert uns abschließend noch, welche Rolle das Fehlen von verbaler Sprache spielt. Dass es der Gleichstellung von Gehörlosen und Hörenden dient, liegt auf der Hand. Aber es eröffnet sich gleichzeitig ein anderer künstlerischer Spielraum. Wie kann er besetzt werden? Wo sind die Stärken?

R.P.:    Hier geht es eigentlich gar nicht um Gleichstellung. Vielmehr geht es darum, neue Perspektiven zu ermöglichen und zu nutzen. Es geht um ein stummes, aber trotzdem emotionales Geschichtenerzählen. Da sind Stummfilme die zugänglichste und einfachste Kommunikationsform, an denen, bis auf Blinde, alle gleichermaßen teilhaben können. Alle denkbaren sprachlichen Barrieren werden so überwunden. Außerdem lassen sich so auf einer visuellen Ebene neue Wege ergründen. Man wird gezwungen, sich mit dem Transport von Informationen und dem Erzählen auf eine andere Art und Weise auseinanderzusetzen. Man muss und soll nicht alles erklären, sondern zeigen.

S.B.:    Man hat nur das reale Bild. Und keine Worte die einem irgendwas erklären wollen. Das ist für die Filmschaffenden spannend, genauso wie für den Zuschauenden.

R.P.:    Dadurch rückt das pure Bild in den Vordergrund. Je purer das Bild ist, desto klarer und unverfälschter ist es.

S.B.:    Es ist schon jedes Mal beeindruckend, wenn die Filme gezeigt werden. Dann herrscht für dreißig oder vierzig Minuten absolute Ruhe. Es gibt dann keine Sprache, aber trotzdem Geschichten und Handlungen. Wenn dann Pause ist, ist es das krasse Gegenteil. Dann will man sich austauschen und sprechen. Es ist fast schon erlösend, wieder in die Sprache zurückzukehren und dabei festzustellen, wie schön Sprache eigentlich ist.

 

 

Und hier noch einmal die wichtigsten Daten:

Einsendeschluss:                      31.03.2019

Thema:                                         „gelb“

Festival & Preisverleihung:   17. & 18. Mai 2019

Veranstaltungsort:                  Zeche Carl, Essen

                                                       Wilhelm-Nieswandt-Allee 100

                                                       45326 Essen

Der Eintritt ist frei, eine vorherige Platzreservierung ist nicht möglich.

Weitere Informationen zum Festival finden sich auf der Homepage des KURZstummfilmfestivals.

 

 

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