Spannung, zart kbribbelnd ...

Von der Kunst des Prosaschreibens – Spannungserzeugung 8

von Mara Laue

Actionszenen schreiben

Actionszenen werden, wie ihr Name besagt, von (rasanter) „Aktion“ dominiert. Die Ereignisse passieren Schlag auf Schlag (auch wenn nicht immer tatsächlich jemand geschlagen wird). Da bleibt keine Zeit für Erklärungen, Beschreibungen, eine ruhige Erzählweise oder gar „Nacherzählungen“ à la „Erst tat er dies, nachdem er damit fertig war, machte er jenes.“ Actionszenen leben von einer schnörkellosen Erzählweise = von größtmöglicher Stringenz, und vom „Echtzeiteffekt“. Das heißt, wir schreiben die Dinge so, wie sie für unsere Figur „jetzt“ ablaufen, und zwar in jeder Sekunde bzw. Minute, die die Action dauert.

In einer der Folgen über gutes Beschreiben wurde aufgezeigt, dass Lesende alles, was sie lesen, ohnehin so empfinden, als würde es in diesem Moment (den handelnden Figuren) passieren. Bei der letzten Folge über die Methoden der Spannungssteigerung wurde außerdem thematisiert, was den Echtzeit-Effekt kennzeichnet: eine realistische Berücksichtigung der tatsächlichen Zeitabläufe. Für Actionszenen kombinieren wir beides und bleiben außerdem immer ganz nah an unserer Figur.

Das heißt, wir lassen die Lesenden in jeder Sekunde der Action unmittelbar an der Seite unserer Figur sein und ihr „über die Schulter blicken“ – nein: Wir setzen sie auf die Schulter unserer Figur und lassen sie alles hautnah miterleben. Und zwar jeden Gedanken, jede Überlegung, jeden Schmerz, jedes Zwicken – einfach alles in den Momenten, in denen das geschieht; sofern das Geschehen wichtig ist = eine Konsequenz für die Handlung hat, versteht sich. Gerade bei Actionszenen lassen wir alles Unwichtige, alles, was die Action verzögert/aufhält, konsequent weg. Hier ein negatives Beispiel, wie man es nicht machen sollte:

Der Hammer des Revolvers schlug auf eine leere Kammer. Lil ging hinter dem Holzstapel in Deckung, um ihn nachzuladen. Als sie damit fertig war, spähte sie zwischen den Lücken im Stapel hindurch, um zu sehen, wo ihr Gegner steckte. Sie konnte ihn nirgends entdecken. Wo mochte er sein?

Wir befinden uns hier in einer Szene, die eine lebensbedrohliche, aktionsgeladene Situation für Lil beschreibt und vom Szenario her vor Spannung knistern müsste. Tut sie das in dieser Form? Nein. Sie wirkt distanziert, weil sie Lils Handlungen „nacherzählt“: Sie geht in Deckung „um nachzuladen“ und späht nach ihrem Gegner, „als sie damit fertig war“. Und was war in der Zwischenzeit, während sie nachgeladen hat? Was hat sie gedacht, gefühlt? Die Trommel eines Revolvers hat normalerweise sechs Kammern. Selbst wenn es einem „unfallfrei“ gelingt, sie schnellstmöglich nachzuladen (ohne dass einem vor Aufregung eine Patrone aus der Hand fällt und man eine neue greifen muss), dauert das ungefähr zehn bis fünfzehn Sekunden. Diese Zeit wurde im obigen Text ausgelassen, d. h. Lil war für die Lesenden in diesen Sekunden „unsichtbar“ und taucht erst wieder auf deren Radar auf, „als sie mit Nachladen fertig war“. Auch ihr Gegner hat in dieser Zeit offenbar nichts getan und „stillgehalten“, bis sie nachgeladen hat. (Wir dürfen zweifelsfrei davon ausgehen, dass er das nicht tatenlos abgewartet hat.) Solche Lücken sind in Actionszenen suboptimal. Machen wir es besser:

Der Hammer des Revolvers schlug auf eine leere Kammer. Mist! Lil ging hinter dem Holzstapel in Deckung, klappte die Trommel heraus, ließ die leeren Hülsen herausfallen und griff nach den Ersatzpatronen in ihrer Jackentasche. Eine Kugel schlug in den Stapel ein. Lil duckte sich unwillkürlich, schob die Patrone in die Kammer und griff nach der nächsten. Zwei weitere Geschosse trafen das Holz. Eine Patrone fiel ihr aus den Fingern. Scheiße! Hastig griff sie gleich drei Patronen auf einmal. Schob sie in die Kammern. Klappte die Trommel zurück in Stellung und spannte den Hahn.
Stille.
Musste ihr Gegner ebenfalls nachladen? Sie richtete sich ein Stück auf und spähte zwischen den Lücken im Stapel hindurch. Von Harper war nichts zu sehen. Verdammt, wo steckte der Kerl?
Das Knacken eines Astes unmittelbar hinter ihr gab ihr die Antwort. Sie fuhr herum und schoss.

Hier erleben wir jede Sekunde der gesamten Handlung mit. Deren Dynamik dadurch gesteigert wird, dass ab dem Moment die Sätze verkürzt werden, als nach dem Fallenlassen einer Patrone für Lil die Zeit noch knapper wird. Statt „Sie schob sie in die Kammern“ und „Sie klappte die Trommel zurück“ (Oder „Sie schob sie in die Kammern und klappte die Trommel zurück“) werden auch die Sätze auf das erforderliche Minimum reduziert: „Schob sie in die Kammer. Klappte die Trommel zurück.“ Gerade Actionszenen profitieren von verknappten Sätzen und auch in Maßen (!) von „Revolverschusssätzen“ (= eine Reihe von aufeinander folgenden verknappten Sätzen), die für weniger actionreiche Texte in der Regel unangebracht sind.

Die in eine eigene Zeile gesetzt „Stille“ wirkt daraufhin wie eine kalte Dusche. Man hält den Atem an, wie garantiert auch Lil. Auf dem Hintergrund dieses für die Situation eher ungewöhnlichen „Stopps“ baut sich zusätzliche Spannung auf: Warum ist es still? Ist der Gegner geflohen, lädt er ebenfalls seine Waffe nach – oder schleicht er sich an Lil heran? Nach dieser kurzen Pause, die vom Moment des Zurückklappens der Trommel einschließlich des Spähens durch die Lücken nicht länger als ungefähr fünf Sekunden gedauert hat, geht es rasant weiter: Ast knackt = Gegner direkt hinter Lil – herumwirbeln – schießen.

Obwohl der zweite Text erheblich länger ist als der erste (863 Anschläge zu 284), wirkt er dynamischer und spannender, weil wir als Lesende Lil keine Sekunde verlassen. Wir erleben ihren Frust, als der Revolver leer ist („Mist!“) und ihr eine Patrone aus der Hand fällt („Scheiße!“). Ihren (unausgesprochenen) Schrecken, als sie die Stille bemerkt, die garantiert nichts Gutes bedeutet, und ihre Angst („Verdammt, wo steckte der Kerl?“). All das fehlt im ersten Text, wodurch er fast betulich wirkt.

Die Schwierigkeit bei Actionszenen ist, das rechte Maß zu finden zwischen dem, was wir beschreiben müssen und dem, was wir weglassen können, weil die Lesenden es sich denken können. Beschreiben wir zu viele Details, auch wenn wir die als Aufzählung verpacken (was man bei Actionszenen im Gegensatz zu anderen Szenen durchaus tun kann), wird der Text langatmig und die Spannung geht verloren.

Unwichtige Dinge wären bei diesem Beispiel zu erwähnen, dass Lil die heruntergefallene Patrone einfach liegen lässt. Das ist zum einen bereits damit ausgedrückt, dass sie sofort nach anderen Patronen greift. Zum anderen setzen die Lesenden das als selbstverständlich voraus, weil das ein in dieser Situation logisches Verhalten ist. Auch dass Lil beim Einschlag der Schüsse in den Holzstapel zusammenzuckt, ist ein unwichtiges Detail und indirekt darin enthalten, dass sie sich „unwillkürlich duckt“. Wären Splitter geflogen, die sie (leicht) verletzt hätten, hätte das jedoch erwähnt werden müssen.

Bei Verfolgungsjagden muss man nicht jede Ecke beschreiben, um die eine Person biegt oder an der sie vorbeiläuft oder -fährt. Auch die obligatorischen quietschenden Reifen müssen nicht erwähnt werden (u. a. weil sie ein Klischee sind). Der Zusammenstoß mit dem Passanten beim allzu forschen Umrunden einer Gebäudeecke ist dagegen wichtig, weil der die flüchtende Person aufhält, auch wenn sie selbst nicht dadurch zu Boden fällt. Aber auch in diesem Punkt kommt die Finesse im Lauf Ihrer Schreiberfahrung.

Wir sollten ebenfalls darauf achten, dass wir eine Actionszene nicht zu lang schreiben, sonst nutzt sich der Action-Effekt ab und wirkt langatmig. Auch die Szene als solche profitiert von der Kürze, die sich in ihrer Sprache ausdrückt. Wir beschreiben, was nötig ist, und beenden die Szene, wenn der Erfolg erreicht ist. Das kann sein, dass unsere Figur oder deren Gegnerin/Gegner die Flucht gelingt, eine Rettungsmission (gut) endet oder scheitert oder eine Pattsituation eintritt, in der keiner vorankommt, keiner einen Vorteil erringen kann. Je nachdem, wie wir die Handlung aufgebaut haben, können wir aber auch eine Actionszene retardieren. Wir können sie durch eine ruhigere „Pause“ ein wenig bremsen, z. B. indem wir unsere Figur sich in Sicherheit wähnen lassen und sie aufatmet – bis sie merkt, dass sie die Sicherheit noch lange nicht erreicht hat. Nach dieser Pause lassen wir die Action erneut losbrechen.

Bei ausgesprochenen Action-Thrillern, lebt die gesamte Handlung (bis auf die erforderlichen retardierenden Szenen, die tatsächlich vollständig ohne Action auskommen) von Szenen nach dem folgenden Muster: Action – spannungsgeladene Pause – neue Action – Pause – Action usw. Erst am Schluss wird nach einer letzten geballten Action (dem Showdown) die rasante Fahrt abgebremst und zur Ruhe gebracht.

Zusammenfassung:

  • Wir bleiben in Actionszenen immer ganz nah bei unseren Figuren und „folgen“ ihnen in buchstäblich jeder Sekunde der Handlung (von selbstverständlichen Dingen abgesehen).
  • Wir schreiben besonders Actionszenen stringent und schnörkellos.
  • Wir benutzen „Revolverschusssätze“, wo sie passen, und dynamische Sprache, bei der wir durchaus Wörter auslassen und Sätze auf nur ein Wort verkürzen können.
  • Längere Action sollten wir in gewissen Abständen retardieren – wie stark, hängt von der Gesamthandlung ab – und sie nach einer „Pause“ erneut in Fahrt bringen. Wobei man darauf achten, dass auch diese Pausen noch Spannung enthalten.
  • Aber NIEMALS dürfen wir versuchen die Action zu steigern, indem wir das Tempus wechseln und vom Präteritum zum Präsens übergehen! Tempusbrüche sind tabu! Außerdem: Wenn wir den Echtzeit-Effekt anwenden, brauchen wir keinen Tempusbruch.

 

In der nächsten Folge:

Figurenentwicklung – Wie man authentische Charaktere erschafft (in mehreren Folgen)

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