Von der Kunst des Prosaschreibens – Rückblende richtig angelegt
Kluge Hinweise von Mara Laue
Die Rückblende – gewusst wie
Die Rückblende ist ein Stilmittel, das wir anwenden, wenn eine Person sich an ein Ereignis aus der Vergangenheit erinnert oder wir eine Szene beschreiben, die – gemessen an der Zeit, zu der die Handlung des Romans/der Geschichte spielt – in der Vergangenheit stattgefunden hat. Rückblenden sind erforderlich, wenn das vergangene Ereignis relevant für die gegenwärtige oder unmittelbar folgende Handlung ist. Rückblenden, die nicht zum Fortgang oder zur Erklärung der Handlung beitragen oder eine Person charakterisieren, sind überflüssig.
Das Wichtigste ist, dass die Rückblenden an der richtigen Stelle stehen. Die ergibt sich daraus, dass das die Information über das vergangene Ereignis „jetzt“ für die aktuelle oder unmittelbar folgende Handlung erforderlich ist, weil ohne sie die Lesenden sie nicht verstehen könnten. Handelt es sich aber um ein Ereignis, das erst kürzlich stattgefunden hat und innerhalb der Gesamthandlung liegt (nicht vor Beginn des Romans/der Geschichte stattgefunden hat), sollte man das chronologisch an die Stelle setzen, an der es geschehen ist, denn Rückblenden sind immer „nacherzählt“ und deshalb handlungslos. Ein direkt geschildertes Ereignis ist immer dynamischer (und damit spannender) und bietet mehr Gestaltungsmöglichkeiten als eine Nacherzählung. Dies gilt besonders für länger dauernde Ereignisse, die mehr als nur einen Absatz benötigen, um beschrieben zu werden.
Ein wichtiges Kennzeichen der (kurzen) Rückblende ist das Tempus (die grammatikalische Zeit), in dem sie geschrieben ist. Diese Zeit liegt immer eine grammatikalische Zeitebene vor der Erzählzeit. Ist die Erzählzeit das Präsens (die Gegenwart), so steht die Rückblende im Präteritum (Vergangenheit). Steht die Erzählzeit im Präteritum wie die meisten Romane, so schreiben wir die Rückblende im Plusquamperfekt (Vorvergangenheit).
Beispiel:
Sie biegt in die Mozartstraße ein und nimmt den Weg über die Brücke, um zum Park zu gelangen (Präsens). Gestern benutzte sie dafür die Abkürzung über Meyers Grundstück (Rückblende im Präteritum).
Sie bog in die Mozartstraße ein und nahm den Weg über die Brücke, um zum Park zu gelangen (Präteritum). Gestern hatte sie dafür die Abkürzung über Meyers Grundstück benutzt (Rückblende im Plusquamperfekt).
Allerdings ist der Gebrauch des Plusquamperfekts für die Lesenden auf die Dauer ermüdend, wenn auch grammatikalisch korrekt, weshalb wir bei längeren Rückblenden nach zwei oder drei Einleitungssätzen im Plusquamperfekt wieder zum Präteritum wechseln und erst im oder nach dem letzten Satz der Rückblende deutlich erkennbar wieder in die Gegenwart des Romans/der Geschichte zurückkehren.
Beispiel:
Wie konnte Jonas ihre Beziehung einfach so beenden? (Jetztzeit der Story im Präteritum) Dabei hatte alles so gut angefangen zwischen ihnen. (Einleitung der Rückblende im Plusquamperfekt) Sie hatten perfekt zusammengepasst, hatten dieselben Interessen geteilt, dieselben Vorlieben. Im Urlaub fuhren sie am liebsten an die See (immer noch Rückblende, aber in diesem Satz Wechsel zum Präteritum, weil noch eine längere Rückblende folgt). (…) Und nun das Ende.
Sandra schüttelte die düsteren Gedanken ab (Rückleitung zur Gegenwart der Geschichte, optisch mit einem Absatz gekennzeichnet) und konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit.
Diese Art der Rückblende verwenden wir, wenn die geschilderten Ereignisse nicht länger als einige wenige (kurze) Absätze dauern. Man nennt diesen Trick „Entlastungs-Präteritum“. Schon Goethe hat ihn gern benutzt. Es ist allerdings durchaus möglich, einen einzigen Absatz komplett im Plusquamperfekt zu schreiben, wenn er nicht zu lang ist (was Absätze grundsätzlich nicht sein sollten). Bei längeren Passagen nehmen wir andere Tricks zu Hilfe.
Wörtlich zitierte Tagebucheintragungen, Briefe oder Zeitungsartikel aus der Vergangenheit der Geschichte/des Romans mit entsprechenden Datumsangaben sind ein probates Mittel. In diesem Fall werden die Zitate im Text meistens kursiv formatiert oder in einer anderen Schrift geschrieben oder beidseitig eingerückt oder in Anführungszeichen gesetzt, um sie optisch abzugrenzen. Diese Form eignet sich hervorragend für die Schilderung von Ereignissen, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. Ein gutes Beispiel in John Carpenters Film „The Fog“ ist das Tagebuch von Father Malone, das hundert Jahre später von seinem Nachfolger gefunden wurde. An den relevanten Stellen im Film wird es einigen Zuhörenden vorgelesen, um die Ereignisse von vor hundert Jahren zu schildern, die der Schlüssel zu den Ereignissen in der Gegenwart sind.
Ein weiteres Stilmittel für besonders lange Rückblenden ist, die Handlung in zwei Zeitstränge zu teilen und einen in der Romangegenwart, den anderen in der Vergangenheit spielen zu lassen. Beide werden grammatikalisch in derselben Erzählzeit geschildert. Im Schlussakt des Romans oder schon vorher, wenn es zum Plot passt, holt die Vergangenheit die Gegenwart schließlich ein und die beiden Handlungsstränge werden miteinander verflochten. Hierbei werden die Vergangenheitspassagen in der Regel durch die am Anfang des jeweiligen Kapitels genannte Jahreszahl beziehungsweise das Datum für die Lesenden kenntlich gemacht.
Des Weiteren gibt es die Möglichkeit, die Rückblende in einen Dialog/Monolog zu packen und vergangene Ereignisse auf diese Weise lebendig zu schildern: „Ich erinnere mich, dass wir damals immer die Abkürzung über Meyers Grundstück genommen haben, obwohl das verboten war. (…)“ Eine andere Möglichkeit ist, die Rückblende in einem Traum zu schildern, den die Person, die die betreffende Begebenheit erlebt hat, träumt. Diese Methode eignet sich aber nicht für jeden Plot und auch nicht für jede Rückblende, weil unser Unterbewusstsein, das für den Inhalt unserer Träume verantwortlich ist, uns in der Regel nur unverarbeitete Dinge träumen lässt oder solche, die uns emotional stark beschäftigen. Das setzt voraus, dass wir, wenn wir diese Form der Rückblende anwenden wollen, darin ein Ereignis verpacken müssen, das die Träumenden stark beschäftigt bzw. ein noch nicht bewältigtes Trauma darstellt. Somit sind die Einsatzmöglichkeiten des Traums als Rückblende begrenzte.
Besonders wichtig sind Rückblenden beim Schreiben von Mehrteilern, um den Lesenden, die den ersten Band oder mehrere vorangegangene Bände nicht kennen oder sie kennende Lesenden, die aber Teile der Handlung inzwischen vergessen haben, wichtige Informationen aus den Vorbänden zu vermitteln. Was wir bei solchen Rückblenden auf gar keinen Fall tun dürfen, ist, die Handlung nachzuerzählen, sofern es sich nicht um sehr kurze Informationen handelt, die sich in einem Satz oder höchstens zwei bis drei Sätzen verpacken lassen. Berichte wie „Damals war Folgendes passiert. Als Marie Ben sagte, dass …“ wirken langweilig und geraten allzu leicht auktorial. Aber auch hierfür gibt es probate Tricks, um diese Informationen spannend und so zu gestalten, dass die Lesenden die Rückblende nicht „fühlen“.
Die rückblickende Handlung in einen Dialog einzubetten, ist auch für solche Gelegenheiten selten verkehrt. Bei nicht allzu langen Passagen darf es auch ein innerer Monolog sein. In beiden Fällen können wir als pikante Variante das betreffende Ereignis aus der Perspektive der Antagonistin/des Antagonisten schildern, die die Sache zwar im Kern identisch mit den im Vorband geschilderten Handlungen berichten, ihr aber ein ganz anderes Gewicht geben. Hat der Held sich im ersten Band gefreut, dass er seinen Feind mit einer List ausgetrickst hat, regt sich im Folgeband der Antagonist über diese List auf und dass er darauf hereingefallen ist, schwört dem Helden vielleicht sogar Rache.
Je nach Genre und Thema des Gesamtplots können wir, wenn es passt, die wichtigen Ereignisse aus dem Vorband dem Folgeband als zitierter Polizeibericht, Zeitungsausschnitt, Niederschrift in einer Chronik oder Eintrag in ein Tagebuch voranstellen. Auch für Rückblenden in Mehrteilern eignen sich Zitate aus Briefe, Tagebucheintragungen oder – ganz modern – aus Aufzeichnungen auf Tonträger, Video, Daten auf einem USB-Stick oder in der Cloud gespeicherte Aufzeichnungen, die per Smartphone gemacht wurden.
Bei diesen Varianten müssen wir darauf achten, dass die Person, die in den Aufzeichnungen spricht bzw. zu sehen ist, diese Aufnahme in ihrer eigenen Gegenwart gemacht hat. Das heißt, wir müssen diese „Zitate“ so schreiben, wie die Person sie in dem Moment der (fiktiven) Aufnahme gemacht hat. In diesem Fall kann es sein, dass alles im Präsens steht oder dass einige Pläne, die noch nicht durchgeführt wurden, im Futur erwähnt werden:
(Zitat aus der Aufzeichnung:) „Ich kann nicht mehr ruhigen Gewissens zusehen, wie Schmidt die Firma mit seinen Machenschaften in den Abgrund reißt. (Präsens) Morgen werde ich zur Polizei gehen und Anzeige erstatten. (Futur)“
Wenn wir einen Fantasyroman schreiben, können wir Rückblenden auch als Zitate aus einer fiktiven Chronik verpacken. Dieses Mittel ist hervorragend für Mehrteiler geeignet. Um Neulesende, die den/die ersten Teil/e des Mehrteilers nicht kennen, die wichtigsten Ereignisse aus den Vorbänden mitzuteilen, kann man sie in einem „Chronik“-Eintrag schildern. Solche Auszüge kann man, wo es passt, auch einzelnen Kapiteln voranstellen. Chronikschreibende berichten die Ereignisse immer auktorial, denn ihnen sind zu dem Zeitpunkt, an dem sie die Chronik schreiben/geschrieben haben, alle darin geschilderten Ereignisse bekannt. Allerdings gilt auch hierfür, dass diese Rückblenden nur dort stehen sollten, wo sie für die Handlung wichtig sind.
Zusammenfassung:
- Die Rückblende ist ein Stilmittel, das man sparsam einsetzen sollte.
- Zu viele Rückblenden verwirren die Lesenden.
- Die Rückblende muss an der richtigen Stelle stehen, das heißt immer nur dort, wo ihr Inhalt zum Verständnis oder für die Weiterentwicklung der Handlung, zur Erzeugung von Spannung oder der Erklärung/Entwicklung eines Charakters zwingend erforderlich An anderen Stellen haben sie nichts zu suchen.
- Jede Rückblende, die – egal wo sie steht – nicht zwingend für die Handlung oder die Entwicklung der Charaktere oder des Konflikts notwendig ist, ist (zumindest an dieser Stelle) überflüssig.
- Haben wir die Möglichkeit, eine Rückblende zu vermeiden, indem wir die betreffende Handlung chronologisch an die Stelle setzen, an der sie stattgefunden hat, sollten wir das tun und auf die spätere Rückblende verzichten.
- Eine Rückblende steht immer eine Erzählzeit „vor“ der Erzählzeit des Textes im Präteritum oder Plusquamperfekt. Bei ganzen Absätzen in der Rückblende kann man das Entlastungs-Präteritum zu Hilfe nehmen, damit der Text leichter lesbar wird.
In der nächsten Folge:
- Das Setting
In weiteren Folgen:
- Titelfindung
- Das Exposé
- Manuskriptnorm und Verlagsanschreiben