Mara Laue: Von der Idee zum fertigen Text VSS Verlag

Von der Kunst des Prosaschreibens – Figurenzeichnung: Erschaffen glaubhafter Charaktere

Teil 5: Namenslisten und Personenregister

von Mara Laue

Auch wenn unsere Romane nur eine überschaubare Anzahl von Personen enthalten, sollten wir eine Namensliste anlegen, in die wir JEDE Figur eintragen, die wir auftreten lassen, auch wenn sie nur ein einziges Mal erwähnt wird/werden soll. Das hat zwei Gründe:

  1. Wir vermeiden dadurch versehentliche Namensgleichheiten oder Namensähnlichkeiten, die zu Verwechslungen führen könnten. Geben wir einer Figur den Nachnamen „Steinprinz“ und nennen eine andere „Steinmann“, ist die Verwechslungsgefahr gerade bei selten oder nur einmalig vorkommenden Personen groß. Die Namensliste hilft, zu große Ähnlichkeiten schon im Vorfeld zu vermeiden.
  2. Wir vermeiden dadurch versehentliche Namensänderungen. Gerade bei selten auftretenden Nebenfiguren vergessen wir manchmal schon im nächsten Kapitel, wie wir sie genannt haben. So kann es passieren, dass wir in der festen Überzeugung, den Straßenmusikanten aus dem vorigen Kapitel Paul genannt zu haben, ihn im aktuellen Kapitel so nennen und auch bei der späteren Überarbeitung nicht (mehr) merken, dass er ursprünglich Erik hieß. Und wenn wir nicht mehr wissen, wie eine Person ursprünglich hieß, bringt uns auch die Suchfunktion des Textverarbeitungsprogramms nicht weiter.

Die Namensliste hilft, diese Klippen zu umschiffen.

Vorteilhaft ist, darin hinter jedem Namen ALLES zu notieren, was wir der betreffenden Person im Text zuschreiben: Haarfarbe, Augenfarbe, Größe, Lieblingsspeise, Hobby, Beruf – alles! Das dient nicht nur dem leichten Überblick, wir vermeiden dadurch auch, verschiedene Personen zu ähnlich zu gestalten (von Geschwistern abgesehen) und z. B. gleich drei oder mehr nicht verwandten Leuten blonde Haare und blaue Augen zu geben.
Im Gegensatz zu den „Personalakten“ der Hauptfiguren (zu der wir in einer späteren Folge kommen werden), in denen auch Dinge stehen, die niemals Eingang in den Roman finden, notieren wir in der Namensliste ausschließlich die Dinge, die wir tatsächlich im Text geschrieben haben. Auch für die Hauptfiguren, denn nicht immer erinnern wir uns (besonders bei langen Texten), was wir über sie schon gesagt haben und was nicht. So kann passieren, dass wir Bezug auf ein Detail oder eine Eigenschaft nehmen, die wir glauben erwähnt zu haben, aber noch gar nicht im Text thematisiert hatten.
Im Laufe der Schreiberfahrung stellt man so manches Mal fest, dass man sich oft schon drei Seiten weiter und spätestens im nächsten Kapitel nicht mehr daran erinnern kann, ob man Straßenmusikant Erik braune oder blaue Augen gegeben oder seine Augenfarbe überhaupt schon mal genannt hat. Sogar bei den Hauptfiguren wird vorkommen, dass wir solche selten benötigten Details nicht (mehr) im Kopf haben. Ein Blick in die Namensliste ist allemal schneller und einfacher, als wenn man die betreffende Textstelle im Roman mühsam suchen müssen. Denn – siehe oben – in solchen Fällen hilft die Suchfunktion des Programms nicht immer weiter.

 

Personenregister im Roman

Manche Autorinnen/Autoren benutzen ihre Namensliste, um ihrem Roman ein Personenregister voranzustellen oder anzuhängen. Das liest sich meistens folgendermaßen:

Winno Manninga: ein friesischer Maler Marke „Schlitzohr“, der seine Talente nicht nur zum Malen eigener Kunstwerke nutzt.
Franjo Manninga: Winnos Bruder, ein Hans Dampf in allen Gassen, der seinem Bruder nicht immer nur nützlich ist.
Hein Sallis: Hauptkommissar und Leiter der „Soko Kunstfälschung“. Winno und Franjo zur Strecke zu bringen, ist sein Lebenswerk.
Lieschen Müller: Winnos Freundin. Sie spielt ihr eigenes Spiel.
Meike Sauberfrau: Putzfrau bei Hein Sallis und heimlich in ihn verliebt.
Ben: Verkäufer im Supermarkt.
(…)

Ich rate aber von solchen Listen im Roman ab, und zwar aus folgenden Gründen.

  1. Steht die Liste am Anfang eines Romans, können die Lesenden mit der Fülle von Namen (in der Regel geht eine solche Liste über mindestens zwei Seiten, oft mehr) nichts anfangen, weil sie ihnen außerhalb einer Handlung präsentiert werden. Falls sie sie überhaupt lesen, haben sie die meisten Namen vergessen, sobald sie den eigentlichen Roman zu lesen beginnen.
  2. Steht die Liste am Ende des Romans, nützt sie den Lesenden erst recht nichts mehr, weil sie die Personen bereits durch den Roman kennengelernt haben. Gibt es nicht schon am Anfang des Buches den Hinweis, dass am Ende ein Personenregister angehängt ist, stolpern die Lesenden erst am Schluss des Buches darüber und werden die Liste der Personen, die sie längst kennengelernt haben, mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr lesen.
  3. Wenn man sich die obige Liste noch einmal durchliest, stellt man fest, dass sie schon recht viel von der Handlung verrät und dadurch die Spannung teilweise „tötet“. Ohne auch nur einen einzigen Satz des Romans gelesen zu haben, weiß man durch die Liste (die für solche Listen typisch gestaltet ist), dass Kommissar Sallis hinter einem Kunstfälscher her ist und eben dieser Winno Manninga heißt, der von seinem Bruder Franjo unterstützt wird. Winno hat eine Freundin Lieschen, über die ihre Beschreibung bereits aussagt, dass sie ein doppeltes Spiel treibt. Und Putzfee Meike ist heimlich in ihren Kommissar verschossen, der aber davon besessen ist, die Manninga-Brüder zur Strecke zu bringen und deshalb ihre Liebe vermutlich nicht bemerkt. Nach diesen Offenbarungen lese man nur noch das letzte Kapitel, wo die Auflösung des Falls steht und kann sich den Rest des Buches sparen. Und sollte Hein Sallis am Anfang des Romans rätseln, wer wohl der virtuose Kunstfälscher ist, dann kann die Autorin/der Autor noch so hervorragende falsche Fährten legen und falsche Verdächtige präsentieren, so ist das vergebene Liebesmühe, auf die die Lesenden nicht hereinfallen, weil sie durch die Angaben in der Personenliste längst wissen, wer der wahre Fälscher ist. Man könnte die Liste zwar ohne zusätzliche Angaben („ein friesischer Maler Marke „Schlitzohr“, der seine Talente nicht nur zum Malen eigener Kunstwerke nutzt“) wie eine Besetzungsliste für ein Theaterskript schreiben:

Winno Manninga: ein friesischer Maler
Franjo Manninga: Winnos Bruder
Hein Sallis: Hauptkommissar und Leiter der „Soko Kunstfälschung“
Lieschen Müller: Winnos Freundin
Meike Sauberfrau: Putzfrau beim Kommissar
Ben: Verkäufer im Supermarkt

Doch in dem Fall würde sie erst recht nicht gelesen, weil sie gähnend langweilig ist und nichts enthält, was sich nicht aus der Romanhandlung ergibt.

  1. Lesende sind in der Regel intelligente Menschen. Und wenn wir als Autorin/Autor unseren „Job“ gut gemacht haben, braucht unser Publikum keine Personenliste, um sich während und auch noch (lange) nach dem Lesen des Buches an die handelnden Personen zu erinnern. Solche, die nur einen einmaligen Gastauftritt haben wie z. B. Verkäufer Ben, müssen sich die Lesenden nicht merken und es macht gar nichts, wenn sie Ben ein Kapitel nach dessen Gastauftritt bereits wieder vergessen haben. Manche Lesenden fühlen sich von Autorinnen/Autoren sogar in ihrer Intelligenz beleidigt (ja, die gibt es wirklich), weil sie das Gefühl haben, man würde ihnen mit der Liste subtil unterstellen, sie seien nicht in der Lage, sich eine mehr oder weniger große Anzahl von Romanfiguren zu merken.

Wenn man Personenregister liebt oder sie für notwendig hält, kann man sie erstellen. Dabei sollte man aber unbedingt darauf, dass die Angaben zu den Figuren diese zwar charakterisieren („Schlitzohr“), aber auf keinen Fall vorab schon zu viel vom Inhalt des Romans verraten, damit wir den Lesenden nicht die Spannung nehmen.
Was in einem Personenregister für einen Roman aber absolut nichts zu suchen hat, ist ein Steckbrief mit Angaben über Haar- und Augenfarbe, Größe, Gewicht etc. Diese Angaben notieren wir immer nur für uns selbst oder zeigen sie den Lesenden anschaulich im Text im Rahmen einer Handlung oder eines Dialogs, soweit und wo sie erforderlich sind.

In der nächsten Folge:
Der Charakter

In weiteren Folgen:

  • Die Ausdrucksweise
  • Handlungsmotive
  • Glaubhafte Reaktionen/Handlungen
  • Die „Personalakte“
  • Die Hauptfigur und ihr Gegenpart
  • Nebenfiguren
  • Broken Hero, der „gebrochene Held“

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