Mara Laue: Von der Idee zum fertigen Text VSS Verlag

Von der Kunst des Prosaschreibens – Figurenzeichnung: Erschaffen glaubhafter Charaktere

Kluge Hinweise von Mara Laue

Teil 11: Broken Hero, die gebrochene Hauptfigur

Der „Held“/die „Heldin“ ist immer die positiv besetzte Hauptperson einer Geschichte, mit der die Lesenden sich identifizieren sollen. Diese Figuren haben ein zu ihrem Charakter und ihren Lebensumständen passendes normales Leben mit Höhen, Tiefen und ein paar Lebensbrüchen, die sie aber bewältigt haben, auch wenn diese sie nachhaltig verändert haben.

Die gebrochene Hauptfigur – neudeutsch „Broken Hero“ – ist eine Sonderform der Protagonistinnen/Protagonisten. Sie hat in ihrem Leben mindestens einen schweren Lebensbruch erlitten wie einen gravierenden Verlust, einen Unfall mit schwerwiegenden Folgen für sich und/oder andere Personen, sie hat Schuld auf sich geladen, ist Opfer geworden oder hat etwas anderes erlebt/erlitten, das sie stark aus der Bahn geworfen hat. Dieses negative Erlebnis hat sie zu Beginn der Handlung des Romans/der Geschichte (noch) nicht verkraftet, weshalb diese Vergangenheit sie in vielerlei Hinsicht negativ beeinträchtigt, sie behindert und ihr Handeln sowie ihre Sicht auf die Welt und die Menschen bestimmt.

Charakteristische Merkmale einer gebrochenen Figur sind:

  • Außenseiterdasein, sei es selbst gewählt oder von der Umwelt aufgezwungen
  • (bisheriges) schuldhaftes oder schuldloses Scheitern im/am Leben
  • (gegenwärtige) Mutlosigkeit und/oder Passivität
  • Zynismus oder generelle Menschenfeindlichkeit oder Menschenscheu
  • Gefühl von Wertlosigkeit und/oder Schwäche
  • Ohnmacht gegenüber der eigenen Situation beziehungsweise das Gefühl, Opfer zu sein (real oder eingebildet)

Zwar treten diese Merkmale nicht zwangsläufig alle zusammen auf, aber zumindest das Außenseiterdasein, die Isolation von der Gesellschaft und der Umwelt sowie das bisherige Scheitern sind die Grundlagen dieses Figurentyps. Geschichten mit einer gebrochenen Hauptfigur drehen sich deshalb meistens darum, dass sie durch die Erlebnisse der Handlung ihr Leben wieder auf die Reihe bekommt beziehungsweise eine Perspektive sieht oder wieder einmal scheitert. Oder sie meistert zwar eine zu bestehende Prüfung, bleibt aber trotzdem gebrochen.

Typische Figuren der gebrochenen Hauptfiguren sind: ehemalige Soldatinnen/Soldaten oder Ex-Söldnerinnen/Söldner, entlassene Strafgefangene, Langzeitarbeitslose, Alkoholkranke und andere Süchtige, (frisch) Verwitwete, Verwaiste, Eltern, deren Kind gestorben ist, Flüchtlinge, Opfer von Straftaten und schweren Unfällen oder einer schwerwiegenden Ungerechtigkeit.

Die Möglichkeiten für die Figuren wie auch die Handlungen sind vielfältig. Allerdings erfordert die Charakterisierung einer gebrochenen Figur von Autorinnen/Autoren Erfahrung und gute psychologische Kenntnisse, um sie glaubwürdig darzustellen.

 

Ab der nächsten Folge: Die Kunst der Perspektive

  1. Auktoriale Perspektive
  2. Personale und wechselnde personale Perspektive
  3. Das Braiden
  4. Eingeschränkt auktoriale/semi-auktoriale Perspektive
  5. Ich-Perspektive
  6. Du-Perspektive
  7. Das Braiden
  8. Perspektivbrüche und ihre Folgen

8 „Mauerschau“ und „Botenbericht“

 

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