So nett gelebt

„Kriegst du hin“: So nett gelebt – Das Dasein geteilt durch vierzehn

Rezension von Hans Zimmermann

Walther Stonet, So nett gelebt -Das Dasein geteilt durch vierzehn, VSS Verlag, Frankfurt/Main 2021, ISBN: 9789403631158, 268 Seiten, Paperback, € 14,95 (D), oder ISBN: 9789403631165, Hardcover, € 24,95 (D)

I. Allgemeines

Kriegst du hin ​

Dass Kunst von Tief-Empfunden käme, ist
Nur Lüge, Posse vor verzerrtem Spiegel –
Sonette schmorten stets im heißen Tiegel,
Weil Argumenten innewohnte List

Wie Lust am Auf-die-falschen-Pfade-Führen.
Du Dichter bist in Wahrheit Galerist;
Metaphern, Bilder, die man nicht vergisst;
Der Wände koloriert mit Versallüren;

Umgreif den Reim, lass los und schweife
Den Sinn ins Nichts, das Nichts in einen Sinn;
Verlier dich nicht ins Das-ist-out-Gekeife.

Im Gegenteil: Zeig vorgeschobnes Kinn,
Zeig Trotz ob dieser drögen Endlosschleife,
Denn das mit dem So-nett-Sein kriegst du hin!

So beschreibt Walther Stonet in diesem 268-Seiten-Buch „So nett gelebt. Das Dasein geteilt durch vierzehn“ (rabenpresse im vss-verlag, 2021) sein sonores Sonettieren. Wenn ich ihn lese, dann sehe, höre ich ihn deutlich vor mir; dazu hilft seine genau ins Schwarze treffende erzählende Klarheit.

Man sehe ihn sprechen, sehe ihn vor sich, höre ihn: Man empfange wie im Radio die Gesprächshaltung, wenn er zum imaginierten universellen Sprachraum hin aufmerksam, dicht am Hörer orientiert, seine Sonette vorliest; oder man sehe ihn konkret – in dem freundlichen akustisch mitteilsamen Blickkontakt, womit er das jeweilige mörikeverwöhnte schwäbische Publikum in seine Seelenwelt einlädt. Wie so oft.

Und zu seiner deutlichen Sichtbarkeit, zur Unmittelbarkeit seines Vortrags, zu seiner Gegenwart noch beim fernen Gelesenwerden, hilft selbstverständlich seine Beliebtheit, die sich im Charme der tanzenden Vers-Melodien und überhaupt immer, immer neu, im Witz klug pointierter Schluß-Sentenzen bewusst widerzuspiegeln scheint. Diese Terzettentänze!

Die Sonettform – dies sei hier nur kurz zwischengeschoben – hat einen natürlichen Gesprächs-Schwung: Ein Paar von Dreierversen antwortet auf ein Paar von Vier-Vers-Strophen.
Das zeigt sich, ich muss es nicht vorweg mit Ableitungsstammbäumen klassifizieren.
Die Sonettform „klingt oder singt sich“ (wie ihr Name schon sagt) von allein, im Hin der öffnenden acht Verse und Her der schließenden sechs, in der einfachen großen Woge des zwischen zwei persönliche Pole gespannten Selbstgesprächs.
Das „definierende Gleiche“ der „klassischen“ Form kann dann ruhig unsichtbar transparent bleiben zwischen den Varianten.
Alles andere sieht sie schon selbst, die prüfende Aufmerksamkeit, hört ihr Leserinnenraum, der empfangende Schoß des Gespräch-Binnenraums in sich.

Es war fünf Jahrzehnte lang so, dass nur ungereimte Flatterrandprosa durch die Wettbewerbe, Lyrik-Zeitschriften und Germanistensiebe hindurchsickerte. Mit den strengen Anagrammgedichten von Theodor Vischhaupt, dem „Eulenhasser in den Hallenhäusern“, forderte Jan Wagner vor zehn Jahren die Artisten unter den Dichtern zu eben der Formvollendung heraus, die seinen angeblichen Autor in den Selbstmord mit einer selbstgestrickten Krawatte aus grüner Merinowolle getrieben habe.
Das schloss von den „Regentonnenvariationen“ (2014) an auch Sonette und die (im Werktitel angesprochenen) Haikus mit ein – die beiden Lyrik-Felder, in denen Walther Stonet den ewig das Satori zu erhaschen suchenden Meisterklassenstudenten spielt – das ist sein ironisches understatement, running gag, sein signum unter dem „Unmittelbare-Begegnung“-Vertrag mit dem individuellen Leser, Dichterschüler oder „Meister“ welcher Klassen auch immer.

II. Weitere Leseblüten

Einige Leseblüten aus den 14 mal 14 Vierzehnzeilern des Buches:

Flötentöne. Bitte. ​

Ich will dir auf der Liebesflöte spielen
Und treff ihn nicht, den rechten Flötenton

Wie wäre es, ich kann dich ja nicht zwingen,
Mir rasch die Flötentöne beizubringen?

Spätsommerahnungen ​


Die Fenster werden trüb. Ein schlechter Kauf

Verbirgt sich in den neuen kurzen Hosen,
Die hingeworfen eine Lehne zieren.
Bald werden Herbst- und Winterstürme tosen,

Die weißen Dahlien ganz schnell erfrieren.

Der Alltagsheld ​


Er hat sich niemals einen Kranz gewunden

Und wusste dennoch immer, was er kann.
Am Ende hat das Leben ihn zerschunden:
Nun liegt er hier, entspannt, als toter Mann.

Drache, aus! ​

Es speit der alte Drache furchtbar Feuer,
Es reitet ihn die Wut, so grenzenlos.

Den Drachen greift man an, ganz ohne Witz:
Es sterben ohne Gegenwehr nur Vetteln.
Die Helden rufen: Drache, aus! Jetzt sitz!

Betrachter, staunend ​

Es steht die Welt am Abgrund, steht da gut.
Denn fiele sie, würd sie ins Leere fallen
Und dort – im weiten Raum – auf gar nichts knallen.
Denn der ist schwarz und kalt und absolut.

Autosuggestion ​

Die Fresse würd ich gerne dir polieren
Und Zahn um Zahn dir kunstvoll Lücken prügeln.
Es würde mich schon saumäßig beflügeln,
Dir das Gesicht total zu demolieren.

Papierflieger ​

Was von den ganzen Plänen bleibt, ist Schatten,
Ist Schall und Rauch, ist ein Falz nur im glatten
Papier, das auf dem Schreibtisch gilbt und wartet,

Zum Flieger wird, in eine Reise startet,
Hinaus ins Helle, in ein Kinderlachen,
Im letzten Traum, aus dem wir nicht erwachen.

Mit einem kleinen Hinweis auf das Wortspiel in der mittleren Verszeile des ersten dieser beiden Terzette breche ich meine Blütenlese abrupt ab, (ich wollte sonst noch ganze Gedichte hier einrücken).
Auffällig ist gewiss die Betonung „ist éin Falz nur im glatten“, die aus dem unbestimmten Artikel das Zahlwort macht. In diesem Trochäus verbirgt sich (und verbirgt sich eigentlich kaum) ein anderes Wort, die „Einfalt“, die Walthersche Bescheidenheit, die sein Signum ist, s.o. Das unterstatement des „Predigers“ (Qohelet), dem alles eitel und ein Haschen nach Wind ist. (Und der listig verschwiegen hat, dass „Schall und Rauch“ in Fausts Gespräch mit Gretchen die Namen sind, die „Himmelsglut umnebeln“.)

III. Fazit

Unbedingt lesen, kaufen, verschenken, die Lieder genießen, die Sentenzen durchdenken!
Unbedingt!

 

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