Schinagl_Francobaldi_Mockupneu

Geheimste Geheimnisse

Rezension von Dieter Feist

Elisabeth Schinagl: Francobaldi. Das Geheimnis der Illuminaten. Allitera Verlag München 2023. 244 Seiten. ISBN3962333657; € 16,90.

Was ist das Schöne an historischen Krimis? Man taucht ein in unbekannte Zeiten und Verhältnisse und staunt, wie umständlich Fälle aufzuklären waren, als es die technischen Errungenschaften noch nicht gab, die man aus dem „Tatort“ kennt. Der „Name der Rose“ fällt einem ein, wenn man an das Genre denkt, und etliche andere, deren plakative Titel derb-saftige Handlung versprechen, gestreckt auf viele hundert Seiten. Der vorliegende Band ist etwas schmaler (was mir entgegenkommt) und spielt nicht im Mittelalter, sondern im 18. Jahrhundert. Aber ist es nicht so, dass man über diese Zeit (wann nochmal?) viel weniger weiß, als über publikumswirksam-finster-deftige Epochen? Bei mir ist das jedenfalls so. Dem hilft Elisabeth Schinagl ab, denn ihre Geschichte ist hervorragend recherchiert und verwebt reale Orte, Personen und belegte Historie mit einer spannenden fiktiven Handlung. Auf so etwas ist die Autorin spezialisiert, vor „Francobaldi“ hat sie bereits sechs Bücher herausgebracht und alle spielen in mehr oder weniger fernen Zeiten, die meisten in Bayern, zwei davon in der Kleinstadt Eichstätt, Bischofsitz am Rande des fränkischen Juras und fast im geografischen Zentrum des Freistaats gelegen. Kein Mittelpunkt des Weltgeschehens indes, weder früher noch heute, aber Frau Schinagl scheint ein Faible für diese Abgeschiedenheit zu haben: sie hat hier studiert und gearbeitet und unterhält immer noch einen Wohnsitz. Dass sie in Eichstätt jede Ecke und in der Umgebung quasi jeden Baum kennt, spürt man beim Lesen.

Der Titelheld Enrico Francobaldi ist kein strahlender Held, vielmehr ein sorgfältiger Beobachter, der bedächtig seine Schlüsse zieht und umsichtig agiert. Vor allem staunt er erst einmal, wo es ihn da aus der Weltstadt Wien hinverschlagen hat: so etwas wie das lebhafte Salzburg hatte er sich ausgemalt, hätte sogar den berühmten „Schnürlregen“ in Kauf genommen, aber Eichstätt ist ein Nest im Vergleich dazu und im Spätherbst trüb, neblig und kalt. Außerdem kümmert sich keiner um ihn, dabei ist er für eine wichtige Aufgabe engagiert worden: er soll im Hochstift ein ordentliches Schulwesen aufbauen. Als der Fürstbischof ihn dann endlich empfängt, wird er nicht etwa in sein Amt eingeführt, sondern erhält den Auftrag, einen Mord aufzuklären, der sich in einem nahen Städtchen ereignet hat.

Die Autorin lässt sich Zeit für die Beschreibung der kleinen Welt in der bayerischen Provinz des Jahres 1787, und da ist alles historisch verbürgt, von den desolaten Verhältnissen in den Schulen bis zum altersmildliberalen Bischof nebst seinen Kleinstaat-Honoratioren; hinten im Buch gibt es ein Personenverzeichnis. Für Authentizität sorgt auch die etwas behäbig-verschraubte Sprache des Ich-Erzählers.

Dann aber nimmt die Krimihandlung an Fahrt auf und es ist gut, dass man zuvor Gelegenheit hatte, sich ein wenig zu orientieren. Francobaldi tappt noch lange im Dunklen, wird schließlich selber Ziel eines hinterhältigen Mordanschlags und allmählich reimt er sich zusammen, worum es hier geht; die LeserInnen wissen es schon vom Untertitel her: die Illuminaten, die echten, historisch verbürgten am Ende des 18. Jahrhunderts. Es war die Zeit der Aufklärung, Lessing pries die Toleranz, Kant haderte mit der Vernunft, Schiller war bald infiziert und schrieb die „Räuber“, Goethe war sich eine Zeitlang noch nicht sicher, ob er etwas dürfen sollte. Die Libertinage der Gedanken war nicht unumstritten. Im katholischen Ingolstadt gründete ein Professor Weishaupt den geheimen Illuminatenorden, der sich der Diskussion und Verbreitung aufklärerischen und antifeudalistischen Gedankenguts widmete und nach seinem Verbot – noch geheimer – weiterbestand; eine Untergrundorganisation gewissermaßen, aber gewaltfrei. Die Gegner allerdings – davon handelt der Roman – schreckten auch vor Mord und Totschlag nicht zurück.

Wovon dieser Roman nicht handelt, sind die Verschwörungsmythen, die sich bereits um die Illuminaten zu ranken begannen, ehe der Orden verboten wurde. Sinistre Umstürzler seien am Werk, hieß es, natürlich gerieten gleich die geheimnistuerischen Freimaurer in Verdacht und der Schritt zur Beschuldigung des Weltjudentums (wessen auch immer) war nicht groß. Die Sache ist – man glaubt es kaum – auch heute nicht erledigt. Und seit jeher gilt: je wirrköpfiger das Narrativ, desto lieber wird jeder Unsinn geglaubt. Lächerlich, aber nicht lustig, damals nicht und heute auch nicht. Dafür massig Romanstoffe; Frau Schinagl, wie wär’s?

Nun sei aber erstmal der „Francobaldi“ empfohlen, der den Fall natürlich löst, und dann endlich merkt, dass er sich verliebt hat, der alte Hagestolz. Wer sich für die Autorin und ihre anderen Bücher interessiert, möge bei elisabethschinagl.de nachlesen. Der Allitera Verlag wirbt mit anspruchsvollen Bavarica. Ich hab mich umgesehen: Belletristik, Sachbücher, keine Lederhosenromantik. Es lohnt ein Blick: allitera-verlag.de.

 

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