Stilisierte Flagge Finnlands (c) Alena Vogel

Es ist Zeit, die finnische Literatur zu entdecken! – Teil 2

Essay von Alena Vogel

Link zu Teil 1 des Essays: https://www.zugetextet.com/es-ist-zeit-die-finnische-literatur-zu-entdecken-teil-1/

In den letzten Jahren finden glücklicherweise auch queere Literatur (z.B. von Pirkko Saisio, Dess Terentjeva, Salla Simukka) und Literatur von People of Color immer mehr Gehör: Koko Hubara veröffentlichte 2017 die Essaysammlung Ruskeat tytöt über strukturellen Rassismus (leider noch nicht übersetzt) und hat einen gleichnamigen Blog für Literatur von und für PoC in Finnland gegründet.

Für gesellschaftskritische und ernste historisch Themen wie die finnisch-deutsche Kollaboration im Zweiten Weltkrieg oder die Folgen der sowjetischen Besatzung in Estland und die Ausbeutung von Frauen gehören Katja Kettu und Sofi Oksanen (beide mehrfach ausgezeichnet) mit zu den bekanntesten Vertreterinnen.

Wenn von finnischer Literatur die Rede ist, dann darf natürlich auch die bereits genannte finnlandschwedische Literatur nicht unerwähnt bleiben. Die Mumins von Tove Jansson haben schon lange weltweite Bekanntheit erlangt. Weniger bekannt ist allerdings die Tatsache, dass Tove Jansson Finnlandschwedin war und neben den Mumins auch sehr berührende Bücher für Erwachsene (mit teils autobiographischem Bezug) geschrieben hat – natürlich auf Schwedisch: z.B. das Sommerbuch oder die Novellensammlung Reisen mit leichtem Gepäck (beide übersetzt von Birgitta Kicherer). Aber auch vor ihr gab es bedeutende finnlandschwedische Autor*innen wie etwa die Lyrikerin Edith Södergran, eine der zentralen Figuren des finnlandschwedischen Modernismus und Symbolismus, die in ihren Gedichten u.a. das neue Frauenbild um die Jahrhundertwende zum Thema machte.

Relativ unbekannt ist dagegen leider die Literatur der Sámi, eines indigenen Volkes, das ohne eigenen Nationalstaat im Norden Norwegens, Schwedens, Finnlands und Russlands lebt. Dabei ist sie in Anbetracht der geringen Zahl an Sprecher*innen erstaunlich produktiv. Erwähnenswert ist u.a. der samische Dichter und Musiker Niillas Holmberg, der kürzlich seinen ersten Roman, Halle Helle, vorgelegt hat. Protagonistin ist die fiktive samische Künstlerin Elle Hallala mit dem Pseudonym Halle Helle (ein Wortspiel –  halla bedeutet ‚Frost‘ und helle ‚Hitze‘), die sich auf die Suche nach ihrer eigenen samischen Identität begibt und sich dabei selbst zu verlieren droht. Der Finne Samu möchte sie auf der Reise zu ihren Wurzeln unterstützen, scheint dabei aber selbst unbewusst postkolonialistische Verhaltensweisen zu reproduzieren. Mit Hilfe der Theorien von C.G. Jung versucht er, Elles Träume zu analysieren und die Deutungshoheit über diese zu erlangen, während der eigentliche Schlüssel zu Elles Traumbildern jedoch im kulturellen Erbe der Sámi zu liegen scheint. Halla Helle liest sich fast wie eine philosophische Abhandlung oder ein Pamphlet, in dem neben der Kolonialisierung, welche die Sámi durch die jeweils herrschenden Staaten erfahren haben und nach wie vor erfahren, auch kulturelle Aneignung, white saviorism und das rassistische Motiv der „edlen Wilden“ thematisiert werden.

Um auf das eingangs erwähnte Spannungsgenre zurückzukommen: Einen Henning Mankell hat Finnland vielleicht noch nicht hervorgebracht, aber in Sachen Krimi kann es mit den Nachbarländern durchaus mithalten. Die Maria-Kallio-Reihe von Leena Lehtolainen (übersetzt von Gabriele Schrey-Vasara) dürfte auch hierzulande die ein oder der andere gelesen haben. Weitere erfolgreiche Vertreter*innen des Genres sind: Antti Tuomainen, Jussi Valtonen, Elina Backman, Reijo Mäki, Kati Hiekkapelto und A.M. Ollikainen.

Es gäbe noch so viele großartige finnische Autor*innen, die man aufzählen könnte! Als Finnland 2014 Gastland auf der Frankfurter Buchmesse war, gab es im Vorfeld einen regelrechten Übersetzungsboom aus dem Finnischen, der danach leider wieder etwas abgeflaut ist. Dennoch sind die Verkaufszahlen für Übersetzungsrechte finnischer Bücher stabil bis leicht steigend – und Deutschland ist einer der größten Abnehmer. Als Übersetzerin finde ich es schön, dazu beitragen zu können, dass noch mehr Menschen in den Genuss finnischer Literatur kommen.

One thought on “Es ist Zeit, die finnische Literatur zu entdecken! – Teil 2

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert