Ernest Farres - Hopper (Cover)

Bildgedichte und Gedichtbilder

Rezension von Stephan Moers

Ernest Farrés „Edward Hopper 50 Gedichte“, übersetzt aus dem Katalanischen von Eberhard Geisler, Verlag Teamart, Zürich 2012, ISBN: 978-3-908126-40-9, 139 Seiten, 18,50 €. Alle Zitate in dieser Rezension stammen aus diesem Buch.

Es ist ein spannendes Unterfangen, 50 Bilder eines Malers zu nehmen und dazu Gedichte zu schreiben. Das Verhältnis Gedicht – Bild bekommt dabei eine ganz besondere Bedeutung, welches nähere Betrachtung verdient. Ernest Farrés hat 50 Bilder aus dem Oeuvre Edward Hoppers ausgewählt und dazu Gedichte geschrieben. Schon die Beiordnung Bild-Gedicht, Gedicht-Bild lässt einen zögerlich werden. Wurden hier nun Bilder bedichtet oder Gedichte zu Bildern geschrieben? Waren die Bilder Inspiration für etwas ganz Neues oder Erweiterung des Bestehenden? Die Neugierde auf dieses Projekt wächst.

Der Aufbau des Buches ist zweisprachig. Jeweils zur Linken findet sich der Katalanische Originaltext, zur Rechten die Übersetzung von Eberhard Geisler, einem Experten für die katalanische Sprache und Ordinarius für iberoromanische Literatur an der Universität Mainz. Hieraus ergibt sich eine dritte künstlerische Perspektive, denn auch die Übersetzung, insbesondere die von Lyrik, ist eine Kunst für sich.

Einen deutlichen Hinweis, wie der Autor dieses lyrische Projekt verstanden wissen will, gibt er gleich im ersten Gedicht. Er nutzt das Bild „Self-Portrait, 1925-1930“ quasi als Einleitung (hier die erste und die letzte Strophe.)

„Self-Portrait, 1925-1930

Wo ich diesen ganzen Stapel schreibe,
sitzt tatsächlich Edward Hopper, er bringt sie hervor
und führt mir die Feder, indem er Raum und Zeit
überwindet.

(…)

Bringen die Dichter denn nicht ihr eigenes Denken zum Ausdruck?
Da alles nun einmal zur Einheit verdammt ist,
sind er und ich zu einem einzigen Wesen verschmolzen:
seine Sorgen und Gemütszustände sind die meinen,
und es sind zugleich diejenigen aller, beschienen von ein und
demselben Mond, überall auf der Welt.“

Farrés arbeitet die Bilder nicht chronologisch ab. Und da das dem Gedicht zu Grunde liegende Bild nicht mit abgedruckt ist, ist der Leser zunächst auf das lyrische Bild verwiesen. Hopper und Farrés bilden eine Einheit. Dies gilt es sich immer vor Augen zu halten, denn durch diesen Modus Operandi entsteht eine sehr deutliche Nähe des Textes zum Bild, was wiederum kein Kritikpunkt ist. Zwar stark deskriptiv erweitert Farrés die Bilder um jene naheliegenden Kontingenzen, die das Bild zulässt, dort aber nicht explizit zu finden sind. Dadurch entsteht eine Dynamik, ein Vorher oder Nachher, wie der Betrachter es vermuten könnte und wie es als Form der Kunst nur ein Text zu vermitteln weiß.

„Gas, 1940

Staub wirbelt auf, als das Auto
an der Tankstelle hält, und der Angestellte,
der die Zapfsäule bedient,
blickt nicht einmal auf.

Weit entfernt von jedem Rummel
liegt der Ort auf einer Lichtung im Herzen
eines von unheimlichen Schatten durchdrungenen Waldes,
die einfallende Sonne wärmt ihn sanft
mit mattem Licht, und die Landstraße
verliert sich wie ein rasch dahineilender Pfad
in einer Biegung zwischen dichtbelaubten Bäumen
auf beiden Seiten.

Von den Sträuchern, vom Gras
und von der Erde steigen starke Düfte auf, die tief in die Lungen dringen.

 Das rhythmische Zirpen der Grillen
schallt durch die funkelnde Abendluft.

 Die Umrisse, die man überblickt,
werden sich innerhalb von Kurzem wie Zucker auflösen
oder pflanzliche Farbstoffe.

 Wenn man hier ankommt
und auf halber Strecke einen Halt einlegt,
enthüllt sich einem ein Fächer
von Einsamkeit: es gibt die Einsamkeit,
die mit dem flauen Wind weht, der die Blätter
und die Zweige bewegt, und diese ist
nur unter großem Aufwand zu erobern,
es gibt die Einsamkeit der Einöde,
und die, welche nur jene erfahren, die sich an das Lenkrad
ihres Autos klammern, der städtischen Einsamkeit entfliegen
und, wenn sie über schmale Landstraßen gleiten,
anhalten, wo der Wald am undurchdringlichsten ist.“

Man könnte es vorsichtig nennen, was der Autor hier macht. Andererseits ist es nur konsequent. Es war ihm nicht daran gelegen, eine wie auch immer geartete Weite zu eröffnen oder die lyrische Interpretation deutlich über das Bild hinaus zu bringen. Es lohnt aber noch einmal der Blick darauf, was in diesem Buch eigentlich geschieht. Die Bilder von Edward Hopper werden zu den Gedichten von Ernest Farrés und erreichen uns über die Übersetzung von Eberhard Geisler. Es ist nicht etwa das Überwinden einer Grenze, die zwischen Bild und Wort stünde, es ist, als ob es eine solche Grenze gar nicht gäbe. Freilich sind die Gedichte Bilder von Bildern und eine zusätzliche Ebene kommt durch die Übersetzung hinzu. Hieraus entsteht aber keine Mittelbarkeit, sondern eine Kommutativität zwischen Bild und Text:  Bild ist Wort, Wort ist Bild. Dem Leser ist es dann überlassen, das Textbild – oder wenn man das Bild schon kennt, den Bildtext – zu erweitern und seine eigenen Gedanken einzubringen.

Eine klare Leseempfehlung also für Ernest Farrés erstaunliches Experiment „Edward Hopper 50 Gedichte“.

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