Dann rennen wir

Zwei Frauenschicksale im Sturm der Zeiten

Rezension von Anke Blacha

Paula McGrath, Dann rennen wir, Roman, Übersetzung Karen Gerwig, GOYA-Verlag, Hamburg, April 2022, ISBN 978-3-8337-4419-8, 307 Seiten, Handcover, € 22,00 (D)

Zwei (drei) Protagonistinnen, zwei Zeitebenen, zwei Kontinente – und die Suche nach einem selbstbestimmten Leben. Dabei gibt die Autorin Paula McGrath dem Roman mit dem Motiv des Wegrennens vor dem eigenen Leben, den gesellschaftlichen Normen oder den politischen Bedingungen einen roten Faden, der sich durch alle Ebenen der Geschichte zieht.
Im Fokus des Romans steht die Teenagerin Jasmine. Im Irland der 1980er hält sie ihr Leben mit der alkoholkranken Mutter und in der Provinz nicht mehr aus und flieht nach London. Schnell muss sie erkennen, dass die Welt nicht auf sie gewartet hat und die Realität anders ist als ihre Lieblings-Show „Top of the Pops“. Die Vorstellung von einem selbstbestimmten Leben gerät immer mehr ins Wanken und endet auf der Suche nach einem Job in einer Tabledance-Bar.
Wie die Flucht von Alison – der zweiten Protagonistin – 30 Jahr später an der US-Ostküste ist der Weg in die Unabhängigkeit bei Jasmine von (sexueller) Gewalt und (familiären) Abhängigkeiten geprägt. Denn auch nach der Rückkehr aus London nach Dublin ist Jasmine trotz ihres toughen Punkerinnen-Looks und dem damals eigentlich unerreichbarem Ziel, Boxerin zu werden, weiter abhängig von Männern – manche in der Rolle des Förderers, manche, die sie lediglich ausnutzen.
Und die Frauen 30 Jahre später? Den Leser*innen begegnet zunächst eine namenlose Mittvierzigerin, die als Ärztin in Dublin arbeitet und die es (wieder) von Irland nach London zieht. Diesmal aus Liebe, doch die anscheinend nicht immer einfache Beziehung zu ihrer inzwischen demenzkranken Mutter lässt sie nicht gehen. Die Teenagerin Alison – die einzige Person, die den Leser*innen als Ich-Erzählerin begegnet, – flieht wie Jasmine aus der Enge ihrer Familie. Diesmal sind es jedoch die ihr unbekannten, spießigen Großeltern, bei denen sie nach dem Tod der Hippie-Mutter leben soll. Ihre Fluchtgehilfen sind eine Biker-Gang, vor deren Gewalt sie jedoch bald die Flucht ergreifen muss.

Auf knapp 300 Seiten verwebt die Autorin Paula McGrath in die Geschichten der beiden Hauptprotagonistinnen Themen wie (sexuelle) Gewalt, Gewalt innerhalb der Familie, Ausbeutung, Rassismus, Ausgrenzung, Emanzipation in den 1980ern und Anfang 2010ern, Abhängigkeitsverhältnisse, Schwangerschaften lediger Frauen im Irland der späten 1960er sowie die Frage zu Schwangerschaftsabbrüchen im Irland der 2010er und Demenzerkrankung. Viele relevante gesellschaftspolitische Themen. Leider werden diese aufgrund des sehr dichten Plots rund um die Hauptprotagonistinnen nur an der Oberfläche betrachtet. Das gleiche widerfährt auch den weiteren Akteur*innen im Roman – sie werden meist nur anskizziert und selbst zu den Frauen im Jahr 2012 stellt sich nicht wirklich eine Nähe ein.

Dennoch erschließt sich den Leser*innen der Zusammenhang zweier Protagonistinnen auf den zwei verschiedenen Zeitebenen nach wenigen Kapiteln. Nachdem der Plot in den USA mehr als 150 Seiten in den Hintergrund rückt, stellt sich der Zusammenhang erst auf den letzten Seiten her und wirkt leider etwas konstruiert.
Warum ich das Buch kaufen würde: Die Idee ist grundsätzlich gut und die Frage, wie Frauen ihre eigenen Ziele erreichen, gegen Widerstände und geltende Normen, ist nach wie vor aktuell. Der Wunsch Jasmines, Boxerin zu werden, was in Irland in den 1980ern anscheinend verboten ist, zeigt zugleich, welche Rechte sich die Frauen in den unterschiedlichsten Bereichen erkämpft haben.
Warum ich das Buch nicht kaufen würde: Es sind Themen, wie das Verbot des Frauenboxen oder die anscheinend restriktiven Abtreibungsgesetze in Irland Anfang der 2010er, aufgrund derer die Ärztin Irland unter anderem verlassen möchte, die die Lebenswege der Frauen beeinflussen, aber im Roman an der Oberfläche bleiben. Das liegt daran, dass die Autorin auf 300 Seiten zu viele Themen ansprechen möchte. Zudem entwickelt sich zum Ende eine eher verworrene als schlüssige Familiengeschichte. Dem Roman hätte es gut getan, sich auf weniger Themen zu konzentrieren und dafür hier mehr in die Tiefe zu gehen. Auf den Ausflug in die USA hätte aus meiner Sicht komplett verzichtet werden können.

 

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