Angekotzt

von Michaela Albrecht

Im Schatten hinter mir vögeln Nutten. Vielleicht sind es auch Pärchen. Ich kann sie nur hören, trotz des gedämpften Wummerns von drinnen. Das satte Schmatzen von feuchtem Fleisch, das wieder und wieder und wieder aufeinander klatscht. Fast im Rhythmus des Basses. Hin und wieder leises Männerstöhnen. Freier, Geliebter, Spanner.
Romantik in der Morgenröte.

Mir ist immer noch übel von der Fahrt im Zug. Oder wegen des Alkohols, wer weiß. Die kleinen bunten Pillen könnten auch was damit zu tun haben. Wenn man high ist, bekommt sogar das Rattern der Schienen etwas Magisches. Es schien eine gute Idee, die Lichter zu zählen, die vorm Fenster vorbei ziehen. Elf. Danach war alles nur noch dunkel.

Bin bis zur Endstation gefahren, erschien mir irgendwie passend. Saß sowieso im falschen Zug.
Mir wird kalt, und ich stolpere zurück in die schwüle Hitze des Clubs. Auch hier reiben sich schwitzende Leiber aneinander, trifft nackte Haut auf nackte Haut. Jemand fasst mir an den Hintern, und ich torkle nach vorne. Feste Arme, die mich an einen ungeformten Oberkörper pressen. Ich atme schlechtes Deo und unerfüllte Hoffnung. Angst trifft Achselschweiß.
Wie Stacheldraht schabt sein Stoppelbart in Richtung meiner Brüste. Eine Hand in meinem Haar. Anderer Typ. Dreht meinen Kopf zur Seite und mich weg vom Stacheldraht, nasse Zunge an meinem Mund. Geschmack nach Bier und sich anbahnender Kotze. Anzeichen angetrunkener Verzweiflung.
Wieder das flaue Gefühl im Magen. Überall zuckende Glieder. Blick ins Stroboskop. Schwarz, weiß, schwarz, weiß, schwarz, weiß. Nur noch schwarz.
Rote High Heels, die direkt vor meinen Augen auf dem verklebten Boden stampfen. Ich bin so nah, dass ich die kleine Zahl an der Unterseite erkennen kann. 39. Kopfkino: Zerquetschte Augäpfel in Horrorfilmen. Hoffe der Fleck vor meinen Augen ist ein ausgelaufener Milchkaffee. Ich unterdrücke den Reflex ihn abzulecken.
Unter meinem Kopf klebt ein benutztes Kondom, ich kann das Geräusch hören, mit dem es sich vom Boden ablöst. Trotz des Lärms. Fühle mich wie die Prinzessin auf der Erbse. Oder Cinderella. Was war das noch mit dem Glasschuh unserer Generation? Anziehen, tanzen, wegwerfen.
Hände greifen nach mir, ziehen mich zurück auf meine eigenen High Heels. Würde lieber liegen bleiben.

„Alles okay? Bock, hier abzuhauen?“ schreit mich jemand an.
Noch mehr Biergeruch. Abwinken. Kann schon fast wieder alleine stehen.
„Was treibst du hier?“
Sein Gesicht wirkt winzig klein auf seinem Kopf, und ich muss kichern. Was ich hier treibe? Ich feiere mein beschissenes Leben.
„Hab heut Geburtstag.“
Irgendwo zwischen meinem Hirn und meinen Lippen werden die Worte durch den Schlamm gezogen.
„Wie alt?“
Während mein Mund an der Antwort arbeitet, checkt er mich ab. Versuche sexy auszusehen und nicht zu fallen. Die Hälfte gelingt sogar.
„25.“
Alles auf die 25 gesetzt. Jetzt steh ich da ohne Chips, ohne Freunde, ohne Job, ohne Geld von den Eltern. Hauptsache positiv.
„Happy Birthday! Gutes Alter.“
Idiot. Will ihn nicht mehr hören, falle dem Typen neben mir um den Hals. Der fragt nix und grapscht nur. Ich bin jung und hübsch, die Welt liegt mir zu Füßen. Trotzdem kotze ich ihm erstmal aufs T-Shirt. Nimm das, Welt!

Zu Füßen lag mir heut Abend nur der Müll, durch den ich hierher gestolpert bin. Immer mit der Nase voraus. Sogar die Obdachlosen hatten mitleidige Blicke für mich übrig. Wie der Mann im Casino, der mir den 500€ Chip ins Dekolleté geschnippt hat. Als würde das jetzt noch einen Unterschied machen.
Ich kann das Rad drehen hören, ratter ratter ratter, bis der Ball endlich still liegt. Die 17 gewinnt. Niemand ist überrascht. Danach geht’s sowieso nur bergab.

Der Idiot dreht sich zu seinen Freunden, grinst über beide Ohren. „Das glaubt mir doch kein Schwein! Von ‛ner heißen Braut angekotzt!“
Freut mich für dich. Scheiß Typen. Scheiß 17. Scheiß Uni. Scheiß Anton.
Von Schule zu Uni, von Bachelor zu Master, von Klausur zu Klausur kämpft man sich durch die beste Zeit seines Lebens. Bis ein einziger Arsch die eigene Armseligkeit bemerkt und ihr den Ausweg bietet. Ne Pille hier, und alles wird einfach. Ne Pille da, und schon bist du wach. Geld weg ist auch kein Ding. Gibt ja noch andere Möglichkeiten. Man hat so lang nur gelernt, was ist da eine Nacht? Tut auch gar nicht weh. Wenn die Welt zu Grunde geht, dann an einem Sonntagabend.

Erbrochenes trifft auf verschissene Toilettenschüssel. Tschüss Mageninhalt. Schade um den Rest der halb aufgelösten Tabletten. Wollte sowieso damit aufhören. Das Lachen bleibt irgendwo kurz vor den Tränen stecken. In der Kabine neben mir ebenfalls Würgen. Der Spalt am Boden gibt den Blick frei auf ein helles Knie und einen roten Schuh, könnte Größe 39 sein.
Als es vorbei ist, knien wir nur da, in stummer Verbundenheit. Der Moment fast sakral. Niemand kann uns das Wasser reichen.
Ich kann nicht sehen, wie sie mit dem Handrücken ihren Lippenstift verschmiert. Wie sie die Augen schließt, um einmal durchzuatmen. Wie sie in ihrer Tasche nach einem Kaugummi kramt. Aber als ich mich langsam aufrichte, höre ich, wie sie es mir gleichtut. Kopfkino: Zwei Hände, nur durch das kalte Glas einer Scheibe getrennt. Fahre mit einer Fingerspitze die Umrisse eines Penis nach.
Quietschen, als zwei Holztüren sich öffnen. Heiseres Räuspern. Kleider rascheln. Wasserrauschen. Blickkontakt im Spiegel. Ich beneide sie um ihre Hochsteckfrisur. Habe mich selten jemandem näher gefühlt. Nur Krämpfe und Kotzen verbinden so sehr. Dann Zeitraffer. Unmerkliches Nicken und sie ist weg, ohne einen Blick zurück. Kopfkino: Tür, die vor meiner Nase zuschlägt.
Zurück im Gedränge, alles fühlt sich leicht an. Vielleicht drehe ich mich im Kreis, vielleicht dreht sich die Welt einfach ohne mich. Die Musik wird immer leiser, die Menge schrumpft vor meinen Augen. Zuckende Zwerge im Zwielicht. Kichern schmerzt im Kopf. Inzwischen ist alles scheiß egal. Dann eine rettende Hand. Jemand zieht mich aus der Menge Richtung Ausgang, ich stolpere bloß hinterher.

„Hab kein Kondom dabei“, sagt er zu meinen Brüsten, während seine Erregung schon eifrig Erlösung sucht. Déjà-vu, das mich fast heulen lässt.
„Scheiß auf Regeln. Wer braucht schon Glasschuhe!“
„Was?“
Die Irritation vergisst er mit dem Verschwinden meines Slips. Den werde ich wie Mister Eifrig hier nie wiedersehen. Ist okay. Tanzen und dann wegwerfen. Man bleibt nicht ewig 17. Oder 25. No Risk no Fun. Wer A sagt, muss auch B sagen. Man muss ja sehen, wo man bleibt. Den Letzten fressen die Hunde. Wo ein Anfang ist, muss auch ein Ende sein.
Was ist schon eine Nacht. Antons Flüstern in meinem Ohr. Passiert schon nichts. Alles positiv. Drücke den Typen gegen die kalte Mauer. Nackte Haut auf nackter Haut. Zumindest da, wo’s wichtig ist. Fühle mich plötzlich ziemlich angeturnt. Einmal auch Macht haben. Das kann ich auch, du Arsch. Feuchtes Fleisch trifft feuchtes Fleisch. Ohne zurückzublicken.

Wer am Ende ist, kann wenigstens von vorn anfangen.

 

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