Streichholzmonopol

Streichholzmonopol

Essay von Dieter Feist

Sehen Sie, ich versuche hier, mein Pfeifchen anzuzünden, und stehe wieder mal in einer Halde von unbrauchbaren Streichhölzern, abgebrochen, nach dem Anreiben sofort verglüht oder unvermittelt in einem Lüftchen verloschen, sowie ich sie über den Tabak halte. Früher war das besser. Früher war eigentlich vieles besser. Gut, dass jetzt keins von meinen Kindern da ist und mich mit meiner ewigen Nostalgie aufzieht. Die Streichhölzer funktionierten aber früher wirklich besser. Da gab es nämlich die Monopolhölzer. Die was? Ich weiß schon, das klingt etwas unglaubwürdig, für jemanden, der’s nicht erlebt hat, aber bis in die Achtzigerjahre gab es das Streichholzmonopol. Die Schachteln sahen alle gleich aus, keine Bilder von Blümchen oder Rennwagen wie heute oder Reklame von Bars und Hotels. Sie waren alle dunkelblau und in weißer Schrift stand ‚Welthölzer‘ drauf. Das ‚l‘ von ‚hölzer‘ hatte einen roten Kopf wie ein Streichholz.

Bei ‚Monopol‘ denken Sie jetzt vielleicht an ein Staatsmonopol und die Einheitsware, die sie in der DDR verkauft haben. Aber damit hatte das gar nichts zu tun. Die ‚Welthölzer‘ waren einfach da, hier im Westen, was anderes gab es nicht, niemand machte sich Gedanken warum und wieso, und sie funktionierten richtig gut. Es gab eine ordentliche Flamme, nie brach eines ab, na, jedenfalls fast nie, und es musste schon ein Mordswind gehen, dass eines ausgeblasen wurde. Ehrlich! Früher hatte ich meine Pfeife jedenfalls schneller am Brennen als heute.

Ganz amtlich hieß das ganze ‚Zündwarenmonopol‘ und kam daher, dass Deutschland nach dem ersten Weltkrieg einen Haufen Schulden hatte. In den Dreißigern hatte dann ein schwedischer Holzmagnat die Idee, seine Wälder gewinnsichernd zu vermarkten. Eine zündende Idee gewissermaßen. Er lieh den Deutschen eine halbe Milliarde, damals natürlich Reichsmark, die Nazis waren übrigens noch gar nicht an der Macht. Das war ein Batzen Geld angesichts der Kriegsschulden; es mussten ja Reparationen gezahlt werden, nach dem Weltkrieg.

Im Gegenzug dafür durfte man dann in Deutschland Zigarren, Öfen und alles, was man befeuern wollte, nur noch mit Monopolstreichhölzern anzünden. Oder Kerzen bei Stromausfall. Für dreiundfünfzig Jahre! Kohl war schon an der Regierung, als das Geld endlich zurückgezahlt war, diesmal in D-Mark natürlich, 1949 hatten sie’s wohl irgendwie umgerechnet.

1983 waren sie weg, die ‚Welthölzer‘, und die bunten Bildchen der liberalisierten Streichholzindustrie kamen auf, in jeder Schachtel waren abgezählte zweiunddreißig Stück, und die brachen ab, verglühten oder wurden von sachten Lüftchen ausgeblasen. Bis heute.

Und zu den bunten Bildchen kann ich auch noch was sagen, wenn ich schon am Meckern bin. Oben und unten drucken sie dasselbe Motiv auf die Schachtel. Früher war der Boden aus graublauer Pappe, und man wusste, wo oben ist. Und wenn man jetzt nicht aufpasst beim Aufschieben, man kann ja nicht alles mit höchster Konzentration machen, fliegen alle Hölzchen raus. Passiert mir immer wieder. Ärgerlich ist das!

Jetzt werden mich wieder alle beschmunzeln, weil ich mich wegen so einer Kleinigkeit wie Streichhölzer aufrege, aber es geht dabei auch ums Prinzip. Und um Qualität. Da muss man drauf bestehen, sage ich, im Großen wie im Kleinen, auch wenn es hier nur um ein paar Groschen geht. Heute sind’s Eurocent, meinetwegen. Eigentlich ist es aber nichts anderes wie bei den Waschmaschinen oder Fernsehern, die sie ja auch so bauen, dass irgendwann ein wichtiges Teil kaputt geht, das man nicht nachbestellen kann. Dann muss was Neues her. Doch, das kann man wohl vergleichen, auch die Kosten für Streichhölzer summieren sich, wenn man’s mal durchkalkuliert.

Also, selbst auf die Gefahr hin, mich lächerlich zu machen, rechne ich mal vor: Sagen wir, ich brauche einhundertdreißig Schachteln Zündhölzer im Jahr. Warum gerade so viele? Na hochgerechnet, soundsoviel Pfeifen, die ich täglich, wöchentlich undsoweiter rauche, im Sommer muss dann auch öfter mal der Grill angezündet werden und solche Sachen. Eben so ungefähr. Manchmal gibt’s auch heute noch Stromausfall, und man braucht eine Kerze. Das ergibt also, warten Sie mal, etwa viertausendeinhundert Zündhölzer. Ein Drittel davon ist unbrauchbar, weil sie brechen oder ungenützt verglühen. Immerhin fast eintausendvierhundert Zündhölzer. Das muss man sich mal vorstellen, umgerechnet etwa vierundvierzig Streichholzschachteln quasi in den Müll geschmissen! Über dreißig Prozent!

Überlegen Sie mal, was ein Ausfall von dreißig Prozent in anderen Zusammenhängen bedeutet. Sagen wir, dreißig Prozent der Arbeiter bei Volkswagen fallen aus, weil sie krank sind oder verstorben. Okay, sie leben noch, aber trotzdem fällt die VW-Aktie ins Bodenlose. Anderes Beispiel: Dreißig Prozent der Bundestagsabgeordneten gehen nicht zu wichtigen Abstimmungen. Deutschland wäre gelähmt! Oder aber die Politik nimmt durch dramatisch geänderte Mehrheitsverhältnisse eine völlig andere Richtung. Plötzlich droht die Diktatur des Proletariats, oder es wird ein Gottesstaat eingeführt mit dreimal täglich Gebetspflicht und Wiedereinführung der Inquisition. Zweimal in der Woche muss gebeichtet werden. Wird nachgeprüft und auf Facebook gepostet, wenn Sie’s nicht tun.

Ich gebe zu, dass diese Vergleiche etwas hinken. In Bezug auf Zündhölzer entstehen auch keine horrenden Kosten, wegen derer man einen zuteilungsreifen Bausparvertrag in Anspruch nehmen müsste. Aber immerhin kann es zu bedeutenden Kollateralschäden kommen. Abgebrochene Zündhölzer, die trotzdem anbrennen, können zum Beispiel Brandlöcher verursachen. Nicht immer, aber manchmal. In Hemden, Hosen oder sonstwo. Ist mir schon passiert. Mehrmals. Ich will jetzt gar nicht von unersetzlichen Schäden an intarsienverzierten Beistelltischchen oder wertvollen Perserteppichen reden. Bleiben wir bei der Kleidung, und sagen wir, ich muss mir pro Jahr zwei brandlochversehrte Hemden und eine Hose ersetzen, dann haben wir schon Kosten von vielleicht hundertfünfzig Euro. Unkosten! Wenn ich ins Kaufhaus gehe und nicht zum Herrenausstatter. In dem Fall wird’s teurer. Und wenn man jetzt gegenrechnet, stehen diese hundertfünfzig Euro den fünfzig Cent gegenüber für die zusammengerechnet dreihundertzwanzig Zündhölzer, die diese verheerenden Folgeschäden verursachen können. Statistisch gesehen. Und ich bin bestimmt nicht der einzige Leidtragende! Das läppert sich! Viele Male fünfzig Cent summieren sich bei der Streichholzindustrie zu satten Gewinnen, während ich und andere Endverbraucher die Folgeschäden alleine zu tragen haben.

Natürlich ist es, volkswirtschaftlich gesehen, gut, wenn ich mir neue Kleider kaufe, ich halte damit den Textilmarkt in Schwung und leiste einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Bruttosozialprodukt. Kleinvieh gibt bekanntlich auch Mist. Ich helfe auch dem Welthandel, weil das meiste ja sonstwo produziert wird. Andererseits mache ich mich aber auch mitschuldig an der Ausbeutung der Menschen in der Dritten Welt. Ich sage nur: Kinderarbeit! Aber, leisten Sie sich mal in Deutschland hergestellte Ware! Bei mir jedenfalls bleibt aber unter Umständen ein immaterieller Schaden zurück. Es war ja vielleicht meine Lieblingshose, die ich mir versaut habe, und eine mit dieser Passform bekomme ich nie mehr wieder.

Wenn das kein Grund ist, sich nach dem Zündwarenmonopol zurückzusehnen! Vielleicht könnte man’s wieder einführen. Es hätte ja auch binnenwirtschaftlichen Nutzen. Deutschland braucht doch Geld! Abbau der Neuverschuldung, Investitionen in wichtige, zukunftsorientierte Ziele. Die Energiewende, bloß als Beispiel, oder die Einrichtung von Kindertagesstättenplätzen. Die Schieflage durch die demographische Entwicklung kostet auch einen Haufen Geld. Es gäbe so viel zu tun! Es wird sich doch irgendein schwedischer Holzmagnat finden lassen, der da anbeißt. Fünfzig Jahre sicherer Gewinn! Und ich könnte wieder gefahrlos meine Pfeife anzünden.

Hersbruck, März 2013

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