Briefe aus der Mansarde

Briefe aus der Mansarde

von Isa Rot

Meine geliebte Veronika!

Du fragst mich in deinem letzten Brief, wie es mir in den letzten Wochen ergangen ist. Meine Wohnsituation ist immer noch dieselbe: ein Mansardenzimmer, das Klo mit Waschbecken ein Stockwerk tiefer zur allgemeinen Benutzung. Ich habe mir im Brockenhaus eine alte Waschschüssel mit Krug erstanden, damit ich mich in meinem Zimmer waschen kann. Du erinnerst dich an das Schlafzimmer unserer Großeltern? Da standen die beiden auf einer Kommode, wurden aber nicht mehr benutzt. Wenn ich mich warm waschen möchte, erhitze ich das Wasser mit meinem elektrischen Kocher. Da ich über keine Herdplatte verfüge, auf der ich mir etwas wärmen könnte, ist der Kocher meine einzige Möglichkeit für eine warme Mahlzeit. Das heißt eine Instantsuppe oder ein Instant-Menu, die man mit warmem Wasser anrühren muss. Für Mahlzeiten im Restaurant, selbst in einem Supermarkt, fehlt mir das Geld. Mein einziger Luxus ist ein frisches Brötchen morgens vom Bäcker, zusammen mit einer Tasse Pulverkaffee. Das Gute daran ist, dass ich frühmorgens aus dem Bett raus muss, damit ich zu meinem Brötchen komme. Sie sind um neun meist schon ausverkauft. Sonntags gönne ich mir ein Croissant.
Mit dem Schreiben geht es leidlich voran. Mir fehlt eine inspirierende Umgebung, der Kontakt mit Menschen. Seit ich arbeitslos bin, habe ich mich zurückgezogen. Ich habe meinen Freunden erklärt, dass ich Ruhe benötige, um mein Buch fertig zu schreiben. Dabei habe ich erst ein paar Seiten geschrieben. Mein Handy bleibt stumm, weil ich die letzte Rechnung nicht bezahlt habe. Ich bin also nicht mehr erreichbar. Mein PC hat kürzlich seinen Geist aufgegeben. So hacke ich meinen Text in eine alte Schreibmaschine, die ich auf dem Flohmarkt gefunden habe. Zum Glück ist sie in gutem Zustand. Dazu gab es noch ein paar Farbbänder. Wenn diese mal aufgebraucht sind, dann weiß ich nicht, wie ich dazu komme. In Papierwarengeschäften findet man keine mehr.
Du fragst, ob ich immer noch Kolumnen für die Zeitung schreibe. Leider wurden diese kürzlich wegrationalisiert. Ab und zu erhalte ich den Auftrag, über eine Gerichtsverhandlung zu berichten. Ich schreibe den Text dann in der Bibliothek an einem PC-Arbeitsplatz. So kann ich mich über Wasser halten, ohne mich arbeitslos melden zu müssen. Denn ich will nicht irgendeinen Job annehmen, der mir nicht gefällt. Mein Erspartes reicht zudem noch ein paar Monate aus, wenn ich so weiterlebe wie bisher.
Kürzlich begegnete ich im Supermarkt Mirjam. Du erinnerst dich? Sie ging mit mir zur Schule und war mein erster Schwarm. Wir trafen uns nach dem Einkauf im Restaurant zu einer Tasse Kaffee. Sie wollte wissen, was ich so treibe. Ich sei Schriftsteller, war meine Antwort. Sie fragte, wie viele Bücher ich schon geschrieben hätte und wo sie erschienen seien. Mein Erstling stehe kurz vor der Vollendung, sagte ich. Ich sei noch auf der Suche nach einem Verlag. Sie war sichtlich enttäuscht und meinte, dass sich heute viele Leute zum Schriftsteller berufen fühlten, aber selten Erfolg hätten. Als ich sie beim Abschied fragte, ob wir uns wieder mal treffen könnten, hatte sie offensichtlich kein Interesse. Schade. Ich mag sie immer noch. Sie hätte etwas Bewegung und Wärme in mein Leben gebracht. Aber eben: Wer will schon mit einem erfolglosen sog. Schriftsteller eine Beziehung eingehen? Ich vermute sogar, dass sie mir den Schriftsteller gar nicht abnahm.
Ich umarme dich!
Rudolf

 

Liebe Veronika!

Ich hätte dich nicht besuchen sollen. Die Verachtung, die mir dein Mann entgegenbrachte, hat mich tief gekränkt. Für ihn bin ich arbeitsscheu und faul. Seine Ratschläge, wie ich wieder zu einem anständigen Job käme, haben mich verärgert. Ich falle ja niemandem zur Last, auch dem Staat nicht. Warum akzeptiert er nicht meine Lebensweise? Es müssen doch nicht alle Menschen solche Streber sein wie er. Ich werde euch nicht mehr besuchen. Zwar werde ich die leckeren Mahlzeiten vermissen, die du speziell für mich zubereitest, weil du weißt, was ich gerne mag. Aber dein Mann gibt mir das Gefühl, dass ich ein Almosenempfänger oder gar Schmarotzer bin. Ich komme gerne wieder vorbei, aber nur, wenn er auf Geschäftsreise ist und mich nicht mehr belästigt.
Heute saß ich im Park auf einer Bank und schaute den spielenden Kindern zu. Und da wurde mir traurig zu Mute. Warum habe ich es nicht geschafft, eine Familie zu gründen? Ich kam mir als Versager vor, umgeben von all den Müttern und Vätern und ihrer Kinderschar. Irgendwann zog ich ihre Blicke auf mich. Sie waren misstrauisch. Hielten sie mich gar für einen Pädophilen? Ich fühlte mich plötzlich unwohl und entfernte mich. Auf dem Rückweg nach Hause begegnete ich einer jungen Frau. Sie blickte mich neugierig an. Mein Herz begann zu klopfen. Hoffentlich begegne ich ihr wieder. Zu Hause angelangt, setzte ich mich an meine Schreibmaschine und schrieb an meinem Roman weiter. Du siehst, es braucht wenig, um meine Fantasie anzuregen.
Du fehlst mir, liebes Schwesterchen. Komm doch mal vorbei. Ich umarme dich.
Rudolf

 

Liebes Schwesterchen!

Gestern war ich wieder im Park – weit ab vom Kinderspielplatz. Ich hatte ein lauschiges Plätzchen unter einem blühenden Fliederbusch gefunden und machte mir Notizen in mein Heft. Die guten Ideen kommen mir oft draußen in der Natur. Wenn ich in meiner Mansarde am Tisch hocke, bleiben sie meist aus. Und da kam sie auf mich zu, die junge Frau, von der ich dir kürzlich schrieb. Sie setzte sich neben mich und schwieg eine Weile. Ich versuchte, mich auf meine Notizen zu konzentrieren.
«Sie schreiben auch?», hörte ich plötzlich ihre Stimme neben mir.
Ich drehte mir zu ihr um.
«Ja. Warum ‘auch’?»
Sie lachte.
«Weil ich ‘auch’ schreibe.»
«Sie sind Schriftstellerin?»
«Ach was, ich schreibe bloß.»
«Was denn?»
«Kurze Erzählungen. Und Sie?»
«Ich versuche mich mit wenig Erfolg an einem Roman.»
Wieder lachte sie.
«Das habe ich auch schon versucht. Aber mir fehlt die Geduld dazu. – Was ist denn das Thema Ihres Romans?»
«Das Leben eines Dichters.»
«Ach, wie langweilig.»
Ich sah sie erstaunt an.
«Langweilig?»
«Finden Sie etwa Ihr Leben spannend? Ich jedenfalls führe kein besonderes Leben, nur weil ich zuweilen schreibe. Ich lebe auch nicht davon. Ich schreibe abends nach meiner Arbeit in meinem Büro. Und Sie? Was arbeiten Sie?»
«Nichts.»
«Oh, Sie leben vom Schreiben. Das kommt selten vor.»
Ich verneinte dies und versuchte, ihr mein Leben so zu schildern, dass es nicht zu banal klang.
«Ein Dichterleben in einer Mansarde. Wie romantisch!»
Klang dies nun ironisch? Ich war mir da nicht sicher. Ich beteuerte, dass es da keineswegs romantisch zugehe und lud sie auf mein Zimmer zu einem Instantkaffee ein. Sie war zu meiner Überraschung einverstanden.
Und so sassen wir in meinem Stübchen, sie auf dem einzigen Stuhl, ich auf meinem Bett. Und wir redeten über das Schreiben. Sie hatte bereits ein paar Erzählungen in Anthologien platzieren können und einmal sogar einen zweiten Preis bei einem Wettbewerb errungen. Ich musste ihr gestehen, dass ich über die ersten zehn Seiten meines Romans noch nicht hinausgekommen bin. «
Kann ich sie lesen?», fragte sie plötzlich.
«Lieber nicht. Es sind nur Skizzen, nichts Ausgegorenes.»
Sie gab sich damit zufrieden. Als uns der Gesprächsstoff ausging, schlug sie vor, einen Spaziergang zu machen.
«Danach lade ich Sie zu mir zum Essen ein.»
Es war ein gemütlicher Abend. Wir redeten über alles Mögliche, aber nicht mehr über das Schreiben. So gegen Mitternacht verabschiedete ich mich von ihr. Näher sind wir uns nicht gekommen.
Was nicht ist, kann noch werden, denkst du jetzt. Vielleicht.
Liebe Grüsse aus der Mansarde
Rudolf

 

Liebste Schwester

Ich habe Marianne nicht mehr gesehen. Nun sitze ich wieder in meinem Zimmer unter dem Dach. Es ist brütend heiß. Das kleine Fenster lässt wenig Luft rein. Ich sitze da in meiner Unterwäsche und versuche zu schreiben. Doch es will mir nichts mehr einfallen.
Wann sehen wir uns wieder? Könnten wir uns nicht mal abends nach deiner Arbeit treffen und zusammen ein Glas Wein trinken? Ich langweile mich hier zu Tode und beginne, depressiv zu werden. Ob ich doch einen Job annehmen sollte? Ich habe das Mansardenleben satt. Und die Einsamkeit. Wenn ich arbeiten würde, käme ich etwas unter die Leute.
Heute habe ich mir eine Zeitung gekauft und den Stellenanzeiger durchgekämmt. In einer Buchhandlung wird jemand gesucht, der sich um die Ein- und Ausgänge kümmert, Botengänge erledigt, bei Eignung auch administrative Aufgaben übernimmt. Ich bin da vorbei gegangen und habe meine Bewerbung abgegeben. Halt mir die Daumen bitte.
Ich grüsse dich lieb.
Rudolf

 

Liebstes Schwesterchen

Ich habe den Job erhalten! Es geht bergauf. Sobald ich etwas Geld verdient habe, suche ich mir eine kleine Wohnung und aktiviere mein Handy. Dann brauche ich dir keine Briefe mehr zu schreiben. Meinen Roman habe ich ganz aufgegeben. Ich bin eben doch kein Schriftsteller, und das Dichterleben liegt mir nicht.
Bis heute Abend im «Romantica». Endlich wieder mal ein Abendessen beim Italiener.
Wenn ich dich nicht hätte, Schwesterchen.
Gruß und Kuss
Rudolf

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