31052022 Doppelausschreibung 13_14 Selbstaufgabe_Egozentrik LOGO

Baustelle

von Renate Schiansky

„Um 3 Uhr 45 heute Nacht riss der Knall einer Explosion die Bewohner der Winterstraße im zentral-südlichen Stadtbezirk aus dem Schlaf. Das Gebäude mit der Hausnummer 13 wurde fast zur Gänze dem Erdboden gleichgemacht. Die Detonation war weithin zu spüren, im Umkreis von mehreren hundert Meters zerbarsten Fensterscheiben. Fünf Menschen starben in den Trümmern, 42 weitere wurden verletzt, sieben davon schwer. Zwei Bewohner werden noch vermisst. Über die Ursache des Unglücks ist noch nichts bekannt.“

Der Architekt schwenkt die Fernbedienung, der TV–Moderator verstummt, der Bildschirm erlischt.
„Fünf Tote“, sagt der Anwalt.
„Und sieben Schwerverletzte“, ergänzt der Investmentberater.
Der Politiker zuckt die Achseln. „Hausfrauen, Kinder, Ausländer, Arbeitslose“, meint er.
„Einkommensschwach. Bestenfalls Bausparvertrag“, stimmt der Investmentberater zu.
„Ungebildet, juristisch nicht vertreten“, ergänzt der Anwalt, hebt die Augenbrauen und zuckt ohne Bedauern die Achseln.

Sie tragen schwarze Anzüge und polierte Lackschuhe. Die Krägen der weißen Hemden sind gestärkt, goldene Manschettenknöpfe funkeln. Manikürte Finger schließen sich um Gläser aus Bleikristall. Quer durch sein lichtdurchflutetes Atelier geleitet der Architekt seine illustren Gäste zu einer schwarz verhängten Vitrine.
„Und das, meine Herren!“
Er zieht mit Schwung das Tuch zur Seite.
„Das wird unser neuer City Tower Bürokomplex mit Luxusapartments ab der neunten Etage und daran angeschlossener exquisiter Wellnessoase!“
Er tritt, Bescheidenheit heuchelnd, einen Schritt zur Seite, um seinem Publikum Platz zu machen, das unter ehrfürchtigem Staunen das Modell betrachtet.
„Ziemlich groß!“ stellt der Investmentberater fest. „Das wird nicht billig!“
„Deshalb sind Sie eingeladen!“ grinst der Architekt. „Sie brauchen doch sicher ein vorzeigbares Lokal für die neue Filiale Ihrer Gesellschaft?“
„Nett“, stimmt der Anwalt zu. „Wenngleich auch nur für gut betuchtes Klientel geeignet.“
„Deshalb sind Sie eingeladen!“, grinst der Architekt. „Sie brauchen doch sicher ein vorzeigbares Büro für Ihre geplante eigene Anwaltskanzlei?“
„Gefällt mir“, erklärt der Politiker. „Und würde gut in unsere Stadt passen, wäre da nicht… “
„Deshalb sind Sie eingeladen!“ grinst der Architekt. „Sie brauchen doch sicher einen neuen Kindergarten in eben diesem Viertel?“

Man nickt sich zu, man ist sich einig, die Vorteile des Projektes liegen wohl für jedermann klar auf der Hand! Jedoch: wo soll er hin, der neue City Tower Bürokomplex mit angeschlossenen Luxusapartments ab der neunten Etage und der daran angeschlossenen exquisiten Wellnessoase? Sie beugen sich über den Stadtplan, sie murmeln und grübeln, seufzen und deuten, denken und zeigen und haben auch bald die perfekte Stelle ausgemacht: Hier, nahe am Zentrum und doch noch nicht ganz mittendrin, an breiter Straße und auch öffentlich bestens angebunden. Ein wenig grün, ein wenig urban, ein wenig elitär.
„Das ist gut!“, sagt der Investmentberater.
„Sehr gut!“, stimmt der Anwalt zu.
„Perfekt!“, ergänzt der Politiker.
„Die Sache hat nur einen Haken“, seufzt der Architekt. „Auf unserem Bauplatz, da steht schon etwas.“
Er wirft einen Satz Fotos auf den Tisch. Sie zeigen ein Wohnhaus, weder besonders schön noch besonders hässlich. Sozialer Wohnbau eben, etwa um 1960, geschätzte 70 Wohnungen für weniger betuchte Menschen.
„Nun ja“, seufzt der Investmentberater.
„Ich kenne da jemanden“, murmelt der Anwalt.
„Der macht das?“ fragt der Politiker.
„An Geld soll es nicht scheitern!“, erklärt der Investmentberater.
„Gewiss nicht!“, bekräftigt der Anwalt.
„Das wäre ja noch schöner!“, stimmt der Politiker mit ein.
„Und die Bewohner?“, fragt leise der Architekt.
Der Investmentberater zieht bedauernd die Brauen hoch, der Anwalt hebt die Schultern, der Politiker seufzt und schweigt.

„Um 2 Uhr 30 heute Nacht riss der Knall einer Explosion die Bewohner der Sommerstraße im zentral-nördlichen Stadtbezirk aus dem Schlaf. Das Gebäude mit der Hausnummer 13 wurde fast zur Gänze dem Erdboden gleichgemacht. Die Detonation war weithin zu spüren, im Umkreis von mehreren hundert Meters zerbarsten Fensterscheiben. Sechs Menschen starben in den Trümmern, 27 weitere wurden verletzt, vier davon schwer. Drei Bewohner werden noch vermisst. Über die Ursache des Unglücks ist noch nichts bekannt.“

 

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