Der Tod der Poesie - (c) Midjpourney - prompted by Walther

Kein Herz für Dichter: VG-Wort streicht den Lyrikerinnen und Lyrikern die Ausschüttung

Kommentar von Walther Stonet

Am 24.05.2025 klingelt das Sterbeglöcklichen für die deutsche Poesie. Täter: die VG Wort. Ort des Geschehens: die Mitgliederversammlung, die Verteilungskriterien der Ausschüttungen festlegt. Opfer: die deutsche Dichtung.

Who the fuck is VG Wort?, wird der Eine oder die Andere jetzt ausrufen. Und was haben die damit zu tun, dass Verseschmiedinnen und -schmiede demnächst völlig leer ausgehen könnten?

Schauen wir uns erst einmal ganz kurz an, was die VG Wort, in Langform Verwertungsgesellschaft Wort, denn so macht. Sie schüttet als Verwertungsgesellschaft an ihre Mitglieder, die einen sog. Wahrnehmungsvertrag mit ihr schließen und ihre Werke melden müssen, damit sie Ansprüche haben. Der Topf speist sich aus der Drucker- und Kopiererumlage sowie anderen Quellen. Wer es ganz genau wissen will, der guckt jetzt hier: https://www.vgwort.de/
Wichtig: Geld bekommt nur derdiedasjenige, welcher einen Wahrnehmungsvertrag mit der VG Wort hatt und seine Werke regelmäßig meldet. Da sie wie ein Verein funktioniert, gibt es Vorstand und Mitgliederversammlung. Letztere bestimmt, wie das mit der Ausschüttung funktioniert und das Geld, das die VG Wort einnimmt, verteilt wird.

So weit, so gut. Ist ja eine super Sache, oder? Ich finde das zumindest.

Nun zum Anlass dieser freundlichen Vorrede, und der ist durchaus unfreundlich. Man könnte sagen, er ist ein Stich ins Herz der Lyrikerinnen und Lyriker. Bisher hatten die Poetinnen und Poeten die Chance, ein paar Krumen vom Tisch der Großen (die, die Prosa, Theater- und andere Skripte schreiben) zu bekommen. Das ist besser als nichts, und Anerkennung dessen, dass ihre Werke auch etwas „wert“ sind (wenigstens ein ganz kleines Bisschen) Und jetzt kommt die Volte, den Dichtern aus dem Volke der Dichter und Denker die Butter vom Brot zu klauen.

Am 24.05., also morgen, soll Folgendes für die Ausschüttungsordnung (offizell: Verteilungsplan) beschlossen werden:

§ 53

5. Berücksichtigt werden nur Texte, die einen Mindestumfang von 1.800 Zeichen haben. Der Text muss ein zusammenhängender sein, er kann nicht aus verschiedenen Kurztexten zusammengestellt werden.

Dieser Absatz löst diesen bisherigen Text ab:

$ 53

3. Berücksichtigt werden nur Beiträge, die einen Mindestumfang von 1.800 Zeichen haben und die Mindestzahl von relevanten Zugriffen aus der Bundesrepublik Deutschland erreichen. Werke der Lyrik sind unabhängig von ihrem Umfang meldefähig.

Was das heißt, ist glasklar: Ein Gedicht, das nicht mindestens 1.800 Zeichen hat – damit man sich das mal vorstellen kann, das wären fast zwei Normseiten für die Prosaisten [Beispiel: Ein Sonett müsste Verse mit 130 Zeichen Länge haben, das ist doch völlig absurd] – wird in der Ausschüttung als quantité négligeable nicht mehr berücksichtigt werden. Zusammengefasst: Ein Sonett ist eine Petitesse. Punkt.
Das gilt natürlich auch für alle anderen Gedichtformen. Und, das macht die Sache noch ärgerlicher, auch für die kurzen Prosaformen (Aphorismen, Sprüche, Kurzprosa, Ultrakurzgeschichten, Couplets, Kurzdramen etc pp.).

Hätte ein engagierter Dichterfreund nicht meine Nase draufgestoßen – ich hätte es total verschwitzt, was da im Schlagschatten der sicherlich nötigen KI-Debatte wie ein Anschlag auf die deutschsprachige Lyrik aussieht. Ich bin nicht nur schockiert, ich bin tief enttäuscht.
Es ist wie immer: Künstlerinnen und Künstler sind einander die schlimmsten Feinde. Von Fairness und Solidarität keine Spur weit und breit.

Wenn diese bodenlose Unverschämtheit (sorry für die drastische Wortwahl, aber das ist schlicht unentschuldbar, weil völlig bar jeder Empathie und Respekt für die Betroffenen) am 24.05, also morgen, beschlossen würde, wäre sie ab der Ausschüttung für das 2027 (gültig). So sieht der geplante Ablauf aus:

§ 89 Neuregelung der Ausschüttung im Bereich Online-Publikationen
1. Alle Änderungen betreffend die Ausschüttungen in den Sparten „Vervielfältigung von stehendem Text / Bereich Online-Publikationen“ … gegenüber dem Verteilungsplan in der Fassung vom 1. Juni 2024 treten zum 1. Januar 2026 in Kraft und gelten für alle ab diesem Datum von der VG WORT oder einer Inkassostelle für diesen Bereich erhaltenen Einnahmen. Die erste Ausschüttung aufgrund der neuen Regelungen soll somit im September 2027 durchgeführt werden.

Lyrikerinnen und Lyriker aller deutschen Lande, vereinigt Euch. Es geht um viel. Es geht um Euren Kragen. Der Lyrik eine Bresche! – Dieser Leitspruch von zugetextet.com war nie wichtiger als gerade jetzt.

Was könnt Ihr tun? Protestieren. Am besten massenhaft.

Verwertungsgesellschaft WORT (VG WORT)
Rechtsfähiger Verein kraft Verleihung
Untere Weidenstraße 5
81543 München

Telefon: +49 (0) 89 / 514 12-0
Telefax: +49 (0) 89 / 514 12-58

E-Mail: vgw@vgwort.de
Kontaktformular: https://www.vgwort.de/kontakt.html
URL: https://www.vgwort.de

 

 

5 thoughts on “Kein Herz für Dichter: VG-Wort streicht den Lyrikerinnen und Lyrikern die Ausschüttung

  1. Danke für diesen aufregenden Beitrag zur VG Wort!

    Johann Wolfgang v. Goethe – ein Dichter vor dem Herrn (wie manche meinen) und lange vor der Verwertungsgesellschaft Wort ein „Mehrgleisiger“, denn wer kann schon von seiner Kunst Essen, Trinken, Wohnen kaufen (?), soll ganz ohne Vergütung – von seiner Appanage für die Geheimratstätigkeit abgesehen, irgendwann einmal geschrieben haben:

    „Frei will ich sein im Dichten und im Denken, im Handeln schränkt die Welt genug uns ein.“

    So können die einen Dichter*innen aufgeregt protestieren (wie die Bauern und Leibeigenen) und die anderen (die Freien) können, unbeirrt durch einen „Verein“ und dessen bestens situierten Funktionäre, einfach weiter ihr Ding machen. Ist irgendwie wie überall…

    1. Update:

      Die Versammlung ist gelaufen, der Beschluss gefasst und ich frage mich, warum die Lyrik in der VGWort so wenige Fürsprechende hat. Denn tatsächlich hat der Verein beschlossen, wie angedroht ab 2027 nur noch zusammenhängende Onlinetexte mit mind. 1800 Zeichen zu berücksichtigen. Davon abgesehen bleibt generell auch die zweite Hürde bestehen: die Mindestzugriffszahl. Sie wird vom Verwaltungsrat der VGWort festgelegt und ist meiner Erfahrung nach jeweils so hoch, dass man sie mit den üblichen Reichweiten literarischer Blogs kaum erreicht.

      1. Leider nur zu wahr. Wir Lyrikerinnen und Lyriker müssen uns besser organisieren. Eine Möglichkeit wäre, die Vertretung in einer eigenen Berufsgruppe anzustreben, weil wir in den Gruppen, in die man uns zuordnet, untergehen. Dazu müsste man sich näher mit der rechtlichen Basis und der Satzung der VG Wort beschäftigen. Das braucht Zeit und Expertise.
        Der zweite Weg ist die Ansprache der Politik. Da habe ich eine Idee, muss sie aber noch ein wenig wachsen lassen.
        Wir bleiben dran. In den kommenden 10 Tagen wird es einen weitere Beitrag auf zugetextet.com dazu geben.

        1. Seit wann gibt es die VG Wort? Und erst jetzt müsste man sich mit der Satzung beschäftigen?

          Mit Verlaub: müsste m/w/d sich nicht bereits VOR dem Abschluß des Verwertungsvertrages damit begonnen haben…? Die VG Wort und die VG BildKunst haben sehr schnell begriffen: Von Spotify lernen, heisst siegen lernen…!

          Grüße an die GEMA…und die noch zu organisierenden Lyriker*innen und viel Erfolg mit der Ansprache der Politik…

          Ich sehe schon die Dollarzeichen…

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