Aus dem Reimlexikon
Buchbesprechung von Dieter Feist
Rafael Schmauch: Battle Rap – Die Kunst der Beleidigung. Ventil Verlag, Mainz 2025. ISBN 978-3-95575-238-5, Broschur, 248 Seiten, 22,00 €(D)
Zu den großen Verdiensten des Ventil Verlages gehört es, dass er in seiner Sparte „Popkultur“ auch deren Rändern ein Forum bietet, besonders auch den Erscheinungen, die auf den notorisch teppichgroßen Druckseiten der Großfeuilletons noch nicht einmal mit spitzen Fingern angefasst würden. Dort muss einer schon tiefgereinigt und nachgetönt sein, um sich wie Campino als eine Art Sloterdijk des Boomer-Punks zu drängenden Fragen der Zeit äußern zu dürfen. Bisher habe ich nur in der „taz“ Besprechungen von Ventil-Büchern gelesen, was insofern bezeichnend ist, als deren Redaktion bekanntermaßen in überhaupt keinem thematischen Zusammenhang übertriebene Befürchtungen kennt, dass feinsinnigen Leser:innen angesichts steiler Thesen und schockierender Entäußerungen der Popkultur vor Schreck edle Tropfen aus dem Rotweinglas schwappen. In der „taz“ wurde übrigens von diesem Buch bisher noch nicht berichtet (was ist los mit Euch? Bin ich diesmal schneller als Ihr?), wohl aber im öffentlichen Rundfunk (BR-2 und DLF-Kultur), wo die Berührungsängste mit der sogenannten Subkultur institutionell geringer sind als in privatwirtschaftlichen Printmedien.
Allmählich werden Sie mich wieder belächeln wegen meiner langen Einleitungen, deshalb geht es nun unmittelbar zur Sache, und dabei handelt es sich, wie der Buchtitel schon insinuiert, um einen Wettkampf in der Kunst der Beleidigung. Bloß noch schnell das vorweg: dem Phänomen (nicht dem Buch) widmete sich „Die Zeit“ (in gedruckter Form) bereits vor ein paar Jahren, angemessen spitzfingrig, indem sich die Autorin als gewesener Battle-Rap-Fan fragte: „Was hör ich denn da?“ und die Inhalte kritisch reflektierte (Nr.19/2018).
So, jetzt sind wir endlich mittendrin, denn genau das – Inhalt und Duktus von Rap-Battles reflektieren – tut auch der Autor Rafael Schmauch, der im Übrigen unter dem Namen „Papi Schlauch“ ein erfahrener und erfolgreicher Akteur der Szene ist.
Was ist das nun, Battle-Rap? Bevor das angeforderte Besprechungsexmplar bei mir eintraf, hatte ich mich schon mal im Internet ein bisschen kundig gemacht. Huch! Du liebe Zeit, was für ein Zirkus! Da stehen sich in vollen Sälen zwei mehr oder weniger junge Männer gegenüber mit Mikrofonen in der Hand, in die sie zu lauten Rhythmen und in standardisiertem Kiez-Idiom abwechselnd kalkulierte Herabminderungen in Richtung ihrer Gegner schleudern, die nach einer bestimmten Anzahl von Takten zurückeifern dürfen. Eine Anmutung von Boxkampf: grell beleuchtet die sich umtänzelnden Protagonisten, dazwischen ein gestikulierender Schiedsrichter, drumherum ein johlendes Publikum.
Darüber hat Rafael Schmauch ein Sachbuch geschrieben, für das er ausführlich recherchiert hat und in dem er detailreich berichtet. Er steht diesem Show-Betrieb durchaus nicht unkritisch gegenüber, auch was seine eigene, aktive Rolle in der Szene betrifft. Das allerdings steht ihm auch ein bisschen im Weg, wenn es um einen etwas distanzierteren Blick auf die Sache gehen könnte.
Rap war im Ursprung eine „Kunst von unten“ und als solche wütend, laut und vulgär. Nichts für zarte Gemüter und weit entfernt von politischer Korrektheit. Die Kunstform Rap provoziert und kokettiert auch heute noch gern mit latentem Rassismus, Verachtung gegenüber Randgruppen und Frauenfeindlichkeit. Auch wenn sich Schmauch persönlich von derlei distanziert und die Szene sich angeblich an inhaltliche Normen hält: natürlich lebt auch der Battle-Rap von Grenzverletzungen und Grenzüberschreitungen, niemand im Publikum will blumige Gedichte hören. Den Gegner als „Spast“ oder ähnliches zu schmähen ist ebenso ein Klassiker, wie die Beleidigung von dessen Mutter als Hure. Das rechtzeitige effektvolle Abbiegen vor einer solchen Formulierung ist gewissermaßen wie ein abgebremster Tiefschlag ins Gemächt, es bringt Publikumspunkte, die Jury kann nichts dagegen einwenden, und die Veranstalter freuen sich über ein weiterhin volles Haus – deftige Provokationen sind ein Publikumsgarant. Schmauch aber berichtet vor allem von solchen Battles, in denen die Beteiligten auf derlei Hardcore verzichten, was die Inhalte insofern beschränkt, als es dann hauptsächlich um Äußerlichkeiten oder die gesellschaftliche Stellung des jeweiligen Gegners geht. Da werden auch mal die Körpergröße und die Figur des Gegners zum Thema, die Herkunft aus „gutem Haus“ oder aus einem „besseren“ Viertel, ein andermal wird der Status als Studierender zum Angriffspunkt.
Die „Kunst der Beleidigung“ besteht vor allem auch darin, dass die Herabminderungen gereimt sind, und nähere Betrachtungen von mehr oder weniger gelungenen Formulierungen nehmen im Buch einen breiten Raum ein. Ich will mich da nicht darüber erheben, ich bin kein Experte und schon gar kein Dichter; aber manches klingt schon ein bisschen nach Reimlexikon, zugegeben ein bisschen angeschrägt. Es ist die lyrische Qualität von Poetry-Slams, deren Reiz ebenfalls in scheinbarer Spontaneität und Improvisation sowie in überraschenden sprachlichen Wendungen besteht. „Es klapperte die Klapperschlang, bis ihre Klapper schlapper klang.“ – nach dem Krieg Geborene erinnern sich – viel mehr, fürchte ich, ist da nicht, sprachlich gesehen.
Auch von der einstigen wütend rappenden Auflehnung gegen die sozialen Verhältnisse hat nichts überdauert als ein paar ikonische Reminiszenzen: die stereotype Gestik, die Baseball-Käppis und die Muscle-Shirts. Es ist ein Spiel, ein Wettbewerb: wer gibt am erfolgreichsten den bösen Buben? Eine Show, für das Publikum ein harmloses Vergnügen, weil man selber nicht betroffen ist. Wenn man Glück hat, hebt einer mal wirklich die Faust und schlägt zu, weil er sich im Innersten getroffen fühlt.
Musste darüber ein Buch geschrieben werden?
Ja, natürlich. Es ist nämlich keine schlechte Idee, gerade auch scheinbar flüchtige Erscheinungen der Pop-Kultur zu dokumentieren. Und wenn das der Ventil Verlag nicht übernimmt – die Hochfeuilletons haben mit der Hochkultur genug zu tun.
Und wenn jetzt einige tief Luft holen und mir vorhalten, ich sei doch selber so ein hochnäsiger Kulturfuzzy, der von Subkultur keine Ahnung hat, dann halte ich dagegen: wenn es um Kunst und Pop geht, bin immer nur an einem interessiert: an Authentizität. Und die lässt sich hier ja wohl nicht bestreiten.
Buchempfehlung?
Aber ja!
Ich bin mir nicht sicher, ob die harten Fans von Rap-Battles übermäßig interessiert sind, Rafael Schmauchs Reimanalysen zu lesen, andererseits könnte es eine Menge kulturaffiner Menschen geben, für die Schmauchs Beschreibungen und sein Detail- und Insiderwissen interessant sein müssten. Das meine ich auch als Zaunpfählchen an die Redakteur:innen, denen die ewigen redundanten Großereignisse insgeheim längst auf den Geist gehen. Salzburger Jedermann Nummer vierhundertsieben – gähn – undzwanzig. Schaut euch mal ein paar von diesen Battle-Rappern an im Internet. Witzig. Von Papi Schlauch ist leider nicht allzu viel zu finden. Dafür anderes. Und Vorsicht: youtube löscht deftige Inhalte nicht. Wenn man Glück hat, kann man miterleben, wie einer austickt und dem anderen in die Schnauze gibt.
Ich will es mal noch anders ausdrücken: wenn jemand im Jahr 2125 was über die Popkultur von vor hundert Jahren erfahren will, kommt er an den Büchern aus dem Ventil Verlag nicht vorbei. Auch an diesem nicht.