Cover von Fritsch Russlands Weg

Wahr ist, was nützt

Rezension von Walther

Rüdiger von Fritsch, Russlands Weg – Als Botschafter in Moskau, Berlin 2020, Aufbau Verlag, 978-3-351-03814-4, Gebunden mit Schutzumschlag, 349 Seiten, 22,00 € (D), 22,70 € (A)

Das deutsch-russische Verhältnis ist im Augenblick nicht gerade spannungsfrei. War es auch eher selten, wenn wir in die Vergangenheit schauen. Eher immer ein wenig ambivalent. Der Autor Rüdiger von Fritsch war bis 2019 Botschafter der Bunderepublik Deutschland in Moskau. Er hat nicht nur profunde historische Kenntnisse, an denen er die Leserschaft ausführlich teilhaben lässt – so weit sie für das Verständnis der heutigen Politik wichtig sind. Wir Menschen sind ja sehr kurzatmig in so vielem. Politik, Innen- wie Außenpolitik; ist das nicht. Auch wenn es manchmal fälschlicherweise den Eindruck vermittelt.

Der Autor hat, und das macht das Buch so wertvoll, Einblick in den Teil der russischen Politik, der nicht öffentlich ist. Der Hintergrund komplettiert jedes Bild. Das gilt, ganz gleich um welches Bild es sich handelt. Die Lampen der leuchten eine Szenerie aus. Oft verbergen sie so das wirklich Wichtige, das sich im Halbschatten und im Schatten abspielt. Gerade in einer gelenkten Berichterstattung wie der russischen ist es bedeutungsvoll, von dem zu berichten, das nicht offensichtlich ist.

Die Leserin und der Leser lernen beispielsweise, die Putin das Land regiert. Sie und er verstehen, wie sich das Binnenklima verändert und verschärft hat und warum. Wie bürgerschaftliches Engagement und Mitwirkung funktionieren, und wie nicht. Sie erkennen, wie die russische Geschichte ins Heute hineinwirkt und warum der Große Vaterländische Krieg gegen Hitlerdeutschland als Klebstoff herhalten muss, der eine Gesellschaft zusammenhält. Dass das Land von den Geheimdiensten regiert wird und warum. Dass die rechtliche Willkür, die aus einer in sich absichtsvoll widersprüchlichen Gesetzes- und Regelungslage entspricht, Programm ist und mit ihr erst Putin in die Rolle des obersten Entscheiders hineinkommt, dessen Herrschaft in die gewisser Weise absolut ist.

Ihr und ihm wird bewusst, dass das, wir heute an russischer Politik innen wie außen erleben, von Anfang an in Putin Regierungsübernahme angelegt war. Und schlagartig klar, warum alle Versuche scheitern mussten, die Wirtschaft erst zu reformieren und dann zu einer Art sozialer Marktwirtschaft zu kommen. Putin hat aber auch die Krisengewinnler, die Oligarchen also, inzwischen domestiziert. Ihre Vermögenswerte in Russland selbst müssen sie als eine Art Lehen verstehen, das ihnen jederzeit ohne Angabe von Gründen weggenommen werden kann, weil es dem Präsidenten so beliebt.

Was den Rezensenten am meisten überrascht hat, ist, wie mit der Wahrheit und Fakten umgegangen wird. Alles, auch die eigene Geschichte, unterliegt der Nützlichkeitsbetrachtung. Es ist genau das offiziell wahr, was nützt. Diese Nützlichkeit lässt sich auch auf die Politik anwenden. Russland verfolgt in seiner Politik keine wertgebundenen Ziele. Es verfolgt vielmehr Interessen. Und es bestraft Schwäche ohne jede Rücksicht. Wenn es ein Ziel neben der Machterhaltung Putins gibt, mag es die russische Nation sein, an der nichts und niemand auf der Welt vorbeikommen soll und die sich als Supermacht versteht und entsprechend agiert.

Es ist in Russlands Interesse, den Westen zu schwächen. Teile und herrsche ist ein probates Mittel, das beispielsweise gegen die EU angewandt wird. Durchaus mit Erfolg, wie man erkennen kann. Ebenso ist die hybride Kriegsführung zu sehen: Verunsicherung der Öffentlichkeit schwächt jede Demokratie. Fakenews, Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen, das Delegitimieren von Wahlergebnissen und Regierung – alles das sind probate und erlaubte Mittel zur Wahrung russischer Interessen.

Es wäre noch viel zu sagen. Aber lesen Sie selbst, wenn Sie jetzt interessiert sein sollten, mehr zu erfahren. Es lohnt sich, dieses gut geschriebene Buch von einem profunden Russlandkenner zu studieren, dem man bei aller nüchternen Klarheit und Sachlichkeit anmerkt, dass er Land und Leute mehr als gernhat – Putin und Co. hin oder her.

Weitere Beiträge zum Themenkomplex: http://www.zugetextet.com/?paged=2&s=Russland

Die Redaktion empfiehlt allen am Band Interessierten den Erwerb über den regionalen Buchhandel. Sie unterstützt damit die Aktion zum Erhalt des kleinen Buchhändlers vor Ort unter dem Hashtag #supportyourlocalbookstore. Bitte unterstützen Sie diese Aktion ebenfalls.

 

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