Ein authentischer Bericht über das Leben in Afghanistan unter den Taliban

von Oliver Bruskolini

Latifa, Das verbotene Gesicht. Mein Leben unter den Taliban, Erzählung, DIANA VERLAG, München/Zürich 2002, 4. Auflage, ISBN 3-453-86373-9, Taschenbuch, 208 Seiten, 7,00€.

Das hier besprochene Buch ist zwar etwas älter, dennoch lohnt sich eine Rezension – auch heute noch. Entdeckt habe ich es, als ich mit meiner Frau zu Besuch bei ihrer Großmutter war. Sofort stand fest: dieses Buch werde ich lesen. Einerseits aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen mit der afghanischen Kultur, andererseits durch die brennende Aktualität der Thematik. Denn Fanatismus, die Unterdrückung von Frauen, Krieg und Gewalt sind weiterhin ein tägliches Geschehen. Ebenso wie die Hoffnung, diese Zustände endlich zu ändern.

Das verbotene Gesicht von Latifa ist mehr als die bloße Erzählung einer Zeitzeugin. Latifa ist ein Pseudonym, das eine junge Frau sich gab, um von ihrem Leben im von den Taliban besetzten Afghanistan zu berichten und einen Abriss der jüngeren Geschichte des nahöstlichen Landes nachzuzeichnen.

Latifa hat ein normales Leben in Kabul geführt. Für ihre Verhältnisse normal. Seit ihrer Geburt befindet sich Afghanistan in einem beständigen Krieg. Gegen die Besatzung der Sowjetunion bildeten sich Untergrundbewegungen, die schnell zu Milizen und ernstzunehmenden Akteuren im bürgerkriegsähnlichen Zeitgeschehen des persischen Landes wurden. Zeitgleich setzt sich die Bevölkerung des Landes aus verschiedenen Stämmen zusammen, die sich untereinander ebenfalls nicht wohlgesonnen sind.

Inmitten dieser zahlreichen Konfliktherde bekommt Latifa dennoch die Möglichkeit, einem geregelten Leben nachzugehen. Sie absolviert eine gehobene Schulbildung und beginnt ein Journalismusstudium. Bis zum 27. September 1996. An diesem Tag marschieren die Taliban in der afghanischen Hauptstadt ein und ändern das Leben, vor allem für die Frauen von Kabul, für immer. Denn ihre Dekrete, die über Radio Scharia gesendet werden, schränken vor allem das weibliche Geschlecht stark ein. Es beginnen Jahre der Verschleierungspflicht, des Eingesperrtseins und der medizinischen Unterversorgung.

Latifa beschreibt die Grausamkeit des Krieges bewegend und spürbar. Noch intensiver demonstriert sie aber die Verzweiflung, die mit der Last der Dekrete über die Frauen in ihrer Familie hereinbricht. Sie schafft es, den Lesenden in eine Situation zu entführen, die für die westliche Welt nahezu unvorstellbar erscheint. Gleichzeitig vermittelt sie geschichtliches Wissen über die Region. Dabei ist sicher auch eine nicht gerade geringe Prise an Meinung in die Erzählung eingestreut. Trotzdem, oder gerade deswegen, wirkt die Geschichte unfassbar authentisch.

Neben all dem Lob sollen aber auch zwei Kritikpunkte Erwähnung finden. Sprachlich ist das Buch durchaus gewöhnungsbedürftig. Dies könnte der Tatsache geschuldet sein, dass es persisch erzählt und französisch verschriftlicht wurde, ehe es wiederum ins Deutsche übersetzt wurde. Es ist durchaus vorstellbar, dass einige sprachliche Aspekte dabei auf der Strecke bleiben. Ein zweites mögliches Problem stellt die an manchen Stellen etwas undurchsichtige Erzählstruktur dar. Wer ein Datum im Text überliest, verliert sich schnell in den zeitlichen Sprüngen. Aber das ist eine Geschmacks- und Konzentrationsfrage.

Insgesamt muss erwähnt werden, dass Das verbotene Gesicht eine starke Erzählung darstellt, die von Authentizität und Realismus zeugt. Es ist traurig, diese Tatsache als Bonus zu verbuchen. Aber wer sich für die Geschichte Afghanistans, die Vorgänge während der Talibanherrschaft und die Unterdrückung von Frauen interessiert, der ist mit diesem Buch mehr als gut beraten. Nicht zuletzt, weil eine Betroffene erzählt und es wichtig ist, sich in Diskursen mit den Berichten von Zeitzeugen auseinanderzusetzen.

 

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