Der (guten) Dinge (=Rezensionen) sind fünf! – Eine Handvoll Lyrik fein geschnitten und gegen den Strich gebürstet

Der (guten) Dinge sind fünf

Eine Handvoll Lyrik fein geschnitten und gegen den Strich gebürstet

Lyrikbände rezensieren? Gedichte bewerten? Einmal Blasphemie, Häresie und Abschwur bitte, und zwar alles tonnenweise. Einmal Kleidung eines Eishockeytorhüters zum Anlegen: die Replik wird furchtbar sein und die Exkommunikation sicher.

Warum tue ich mir – und uns – das also an? Weil ich verrückt bin: Nur Wahnsinnige können mehr als zwei Gedichte am Stück lesen und danach noch bei klarem Verstand sein. Wer nicht durch die Lyrikkrankheit gezeichnet ist, also gereimt oder sonst irgendwie unverständlich brabbelt, hält eine solche Tortur nicht unbeschadet durch. Denn, wie sagte vor kurzem ein Protagonist, die deutsche Lyrik „will schlecht sein“. Dem ist – leider – nur hinzuzufügen, dass nirgends Chuzpe und Selbstüberschätzung so weit verbreitet sind wie unter der Familie der Dichter, Unterform Lyriker.

Also habe ich mich für mich und Euch, liebe Leserinnen und Leser, unbeeindruckt und gegen jede Vernunft durch ca. 500 Dichtversuche gefräst und will nicht verhehlen, dass mir dabei der eine oder andere ziemlich „undicht“ vorkam. Mein Schwager, seines Zeichens Meister der Dichtkunst, also Klempner, hätte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Das eigentlich Dramatische daran ist, dass selbst veritable Hesse-Förderpreisträger nicht davor gefeit sind, absoluten sprachlichen Mumpitz zwischen Buchdeckel zu bekommen. Manchmal fragt sich der erstaunte Vielleser und Kritiker (mindestens 1.000 Gedichte jährlich aus unterschiedlichen Federn und Quellen, viele davon im Internet), was Lektoren aus bekannten Verlagen hinter Buchrücken lassen und wer nach welchen Kriterien ein Stipendium in der Villa Massimo spendiert bekommt. Ich habe mich allerdings nicht zum ersten Mal gewundert, muss ich ehrlicherweise an dieser Stelle zugeben.

Nun sind wir in bei zugetextet.com nicht dafür bekannt, vor irgendwem respektvoll zu erstarren. Das haben wir erstens nicht im Redaktionsprogramm, und zweitens passte es auch nicht zu uns.

Vielmehr geht es uns darum, in den Gegenden der Istzeit, in denen die moderne Literatur ihre Salons bezogen hat, dem Internet also, aufzutreiben und ans Licht zu befördern. Dabei wollen wir durchaus absichtsvoll aufzuzeigen, dass nicht alles – eher wenig -, was derzeit die kritischen Augen der Spürnasen der sog. renommierten Verlage passiert, wirklich gute Lyrik ist. Was nachstehend bewiesen werden wird. Wir werden, dazu an andere Stelle mehr, zeigen, dass es in der weltweiten Webstube des Internet wirkliche Könnerinnen und Könner gibt, die es – aus welchen Gründen auch immer -, nicht auf die Büchertische schaffen, die allüberall nur die Klassiker und irgendwelche Herausgaben mit dem 27. Aufguss einer mehr oder minder intelligenten Zusammenstellung der ebengenannten nach bestimmten Themengruppen geradezu bis zum physischen Zusammenbruch bedeckt sind.

Auch hier werden wir zeigen, dass es Orte gibt, in denen man Lyrik erwerben kann, ohne das Internet zu bemühen. Lasst Euch überraschen!

Doch nun zum eigentlichen Thema des Beitrags:

 

Mehr als einen Reim gemacht

Helmut Krausser, Plasma – Gedichte 03-07, Köln 2007, DuMont Buchverlag, ISBN 978-3-8321-7990-8, gebunden

Netfinder 1: www.dumontverlag.de
Netfinder 2: http://www.helmut-krausser.de/

Man kann über Lyrik geteilter Meinung sein. Schließlich, Sprachkunst hin oder her, muss das Ganze auch gefallen. Sonst sollte man ein Buch nicht kaufen.

Auch? Sprachkunst? Noch Fragen?

Ich stehe also in den dicht gepackten Räumlichkeiten meiner Bad Tölzer Lieblingslyrikbuchhandlung und frage Frau Zantl, was sie denn empfehle aus ihrer Lyrikecke. Helmut Krausser sagte mir bisher nichts, aber der Band macht schon der Ausstattung her einen prachtvollen Eindruck. Goldene Lettern geprägt auf schwarzrot gemuschelten Grund. 110 Seiten. Wow. Ziemlich dick für Lyrik.

Ich blättre also in diesem Band herum und mein „müdes“ Auge fällt auf ein Sonett. Huch, Sonett. Ich traue meinen Augen nicht, aber auf der nächsten Seite steht noch eins! Donnerblitz, was ist denn das?

Unter dem Titel „little china girl“, man denkt sich gleich so seinen Teil, dieser Popsong von David Bowie, geht das dann so:

„am bug der alten hongkongdschunke \ neben meinem reisesack, \ hockt mächtig eine gelbbauchunke \ aus metall. die nacht, ein wrack …“

Und in diesem leicht ironischen Ton geht es dann 3 Strophen weiter. Weitere Beispiele virtuoser Sprachkunst, in allen Formen, Farben, frei, gereimt, gestäubt, ionisiert: Eine wahres Plasma an Gedichtteilchen, so flauschig hinterhältig gemein und herrlich blödelnd.

Nun wissen wir, dass Humor immer einen ersten Hintergrund hat. Hier ist es das LyrIch und das/sein Leben im Allgemeinen und Besonderen.

Ich habe hier mit besonderem Vergnügen, fast in einem Rutsch, über 100 Seiten Gedichte einverleibt. Mich hat das regelrecht erfrischt und für das, was da noch nachkommt, hoffnungsfroh gestimmt.

Empfehlung: ein klarer Kauf. Hier ist endlich ein Literaturpreis fällig. Und die Villa Massimo. Dann wohnt da mal jemand, der’s kann (und wohl nicht mehr verlernen dürfte).

Wo man die Bad Tölzer Buchhandlung findet. Na hier!

Netfinder (3): http://www.buchhandlung-winzerer.de

 

Ein Anfang, bei dem man das Ende herbeisehnt

Albert Ostermaier, Für den Anfang der Nacht – Liebesgedichte, Frankfurt/Main, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, 137 S., ISBN 978-3-518-45863-1, broschiert

Netfinder (1): http://www.suhrkamp.de
Netfinder (2): http://www.albert-ostermaier.com

Der Band, den ich mir hier vorgenommen habe, würde man unter Musikern ein „Best of“ Album mit dem Themenschwerpunkt „Liebe“ nennen. Das hat zuerst einmal durchaus den Nachteil, dass sich alle Texte um das eine Thema drehen. Nun ist dieses wichtig genug und auch facettenreich, dass dieser Nachteil wieder aufgehoben werden sollte.

Auffallend ist die Atemlosigkeit der Sprache. Nie ist Ruhe, auch wenn diese thematisiert wird. Selbst danach, bei der berühmtberüchtigten Zigarette, die der Autor häufig genug bemüht, ist die Atemlosigkeit eines hyperaktiven Menschen spürbar. Beide, die Geliebte und er, scheinen permanent im D-Zug-Tempo unterwegs zu sein, ohne Halt und Atempause.

Symbolisiert wird diese Hast mit dem Zeichen „&“. Typisch ist gleich der erste Eintrag des Bands mit dem Titel „pur“, der hier zitiert sei:

„ich nehm dich ungeschminkt & sags \ dir ins gesicht ich lieb dich wie \ du bist drum kleid ich dich in worte \ ein & nehm sie dann zurück & rück \ dir mit der wahrheit auf den leib \ denn sie ist nackt & doch geteilt \ am schönsten“

Das Gedicht ist Programm und zeigt die Stärken des Bandes auf: Der Mann hat Groove und Beat. Man wünschte sich nur, dass er sich nicht permanent wiederholte und sich selbst umkreiste.

Abschiede sind es, eine permanentes Gehen, das Kommen findet irgendwie nicht statt, und so werden Dutzende von Taxen bemüht, Zigaretten geraucht, Gründe gesucht und sich immer eines mit Sicherheit: voneinander entfernt.

Sicherlich ist Lyrik ein Spiegelbild der Zeit. Das Herbeizitieren aller wesentlichen Städte des deutschen und mehrheitlich sudeuropäischen Sprachraumes für immer gleiche (oder wenigstens ähnliche) Verabschiedungen und sich wiederholende Vergeblichkeiten langweilt mit der Zeit. Die Frage, die sich stellt, ist, ob das LyrIch seine Partnerinnen ebenso zur Tür hinaus langweilt, bevor es sich ins nächste Abenteuer stürzt, um so nächtliche Vergeblichkeiten aneinander zu reihen.

Empfehlung: das muss man nicht gekauft haben, aber vielleicht frau. So lernt sie die Spezies des ewigen Jägers kennen. Das mag am Anfang spannend sein, aber am Ende ist das Ende der Nacht das Ende von allem.

Schade eigentlich: Der Autor hat was. An der Sprache ist manch Interessantes, anderes ist aber sehr repetitiv, gerade so, als ob sich hier einer immer wieder gerne das Gleiche ein bisschen anders erzählen hören würde. Auf der CD würde man sagen: Die Nadel hängt. Hier hülfe eine Reinigungs CD. Beim Buch hilft leider nur weglegen und was Anderes lesen.

 

Darüber breite sich die Nacht

Silke Scheuermann, Über Nacht ist es Winter – Gedichte, Krankfurt/Main 2007, Verlagsbuchhandlung Schöffling & Co., 86 S., ISBN 978-3-89561-372-2, gebunden

Netfinder (1): http://www.schoeffling.de
Netfinder (2): http://de.wikipedia.org/wiki/Silke_Scheuermann

Da lese ich nun einen Gedichtband einer mit Preisen überschütteten Autorin. Ich sollte demnach voller Jubel über das Gelesene sein und diese mit Lob und Preis überschütten. Schließlich war sie gerade Gastprofessorin am renommierten Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Ich frage mich ernsthaft, warum ich mich dem lauten Beifall aller sonstigen Beteiligten nicht anschließen kann. Wahrscheinlich, weil ich von der Dichtung im Besonderen und der deutschen Literatur im Allgemeinen einfach zu wenig verstehe. Gut. Dann sollte der Leser aber jetzt weiterblättern.

Die Autoron schreibt im „Museum der stillen Engel“ im dritten Teil eines Endloswurms:

„Ich würde dir gerne die Stille erklären \ doch kann nicht \ bewegte Flügel kommen kaum vor \ in diesem Museum \ kein Falter ist noch in Aktion …“

Ähnlich Tiefschürfendes zieht sich über 5 Seiten (S. 77ff) hin. Mein Entscheid: Ich nix verstehn, weil zu blöd.

Nun könnte man das einen Ausrutscher ansehen, wenn die anderen Beiträge einen Gramm weniger bemüht bedeutungsschwanger wären und etwas konkreter zu einer Aussage kämen. Ich zitiere aus „Der Wolf oder Die Wege des Bösen kreuzen sich im Stadtpark“ diesmal aus Teil I eines weiteren Endloswurms:

„… Er (= der Wolf) verwandelte sich elegant \ Den Rücken durchgestreckt \ wurde er leicht wie ein Junge \ tanzte sich durch den Schmerz \ auf die neue Form zu \ Natürlich änderte sich seine Fußspur Siehtst d u\ wie er spazieren geht und den Tauben das Brot hinstreut? \\ Gestern war Vollmond … ….“

Aussage? Was kann ich daraus für mich gewinnen? Warum fängt mitten im Vers, das macht sie öfter, die Autorin, ein Satz mit großem Buchstaben an? Mein Schluss: Ich nix (Wehr-)Wolf, ich dummer Hund.

So geht es in dem ganzen Band, in dem ich nichts, aber auch gar nichts, gefunden habe, was es wert gewesen gelesen zu haben. Beim Lesen habe ich mich immer wieder gefragt, ob es denn irgendwann ausreicht, einen großen Namen zu haben, und dann wird alles gedruckt, was der-/diejenige schreibt: das sog. Grass(phän)omen. Da reiht sich Auszeichnung an Auszeichnung, und irgendwann sagt keiner dem Künstler bzw. der Künstlerin mehr, dass das, was sie hier vorlegt hat, einfach Platzverschwendung ist. Sie ist sakrosankt, denn wer soviel Preise bekommen hat, der kann doch nur gut sein. Oder?

Empfehlung: Einen riesengroßen Bogen um das Buch machen, das Geld für ein schönes Essen ausgeben und stark daran zweifeln, ob irgendetwas aus der Feder der Autorin der Erwähnung wert ist, wenigstens von ihren jüngeren Ergüssen.

 

Nie nicht nichts

Felix Philipp Ingold, Tagesform – Gedichte auf Zeit, Graz/Wien 2007, Literaturverlag Droschl, 93 S., ISBN 978-3-85420-1, gebunden

Netfinder (1): http://www.droschl.com
Netfinder (2): http://de.wikipedia.org/wiki/Felix_Philipp_Ingold

Da ist ein Sprachfex am Werk, der seinen „Material“ aus allen erdenklichen Blickwinkeln betrachtet und das Letzte an Bedeutung aus Wortkombinationen herauskitzeln will. Vorsicht: gewöhnungsbedürftig und keine leichte Kost …

Man merkt, zweitens, dem Autoren sein Herkommen aus dem Südwestdeutschen, dem alemannisch-schwäbischen Sprachraum an. Aus diesem Sprach- und Kulturraum kommt die mehrfache Verneinung, die der Schwabe und der Alemanne so hervorragend in dem Ausspruch bündelt: „Das kann gar nie nicht sein! Das habe ich nie nicht gesagt!“

Zudem merkt man die Herkunft aus dem Alpenraum. Das Bild von Berg, Tal, Wiesen prägt die Lyrik, deren Inhalte und Bilder gefaltet sind wie die Alpen selbst, Schicht um Schicht muss abgetragen und neu zusammengefügt werden.

Spannend auch der dauernde Wechsel der Perspektiven, ganz so, wie im Gebirge, wenn die Wolken im Wind über die Sonne huschen und ein stetiger Helldunkelwechsel das Auge beinahe überanstrengen will. Dadurch entstehen Sichtweisen, die Ein- und Dasselbe als Verschiedenes erscheinen, ganz als ob der Schatten und das Licht den Blick auf andere Wirklichkeiten öffneten.

Texte wie „Bergwärts“, deren Teil II als Perspektiven 1 bis 3 hier abgebildet ist, im Gedichtband zu finden ab S. 84, findet sich in den Textebenen immer neue Aussagen, die durch Weglassen von Wörtern herausgeschürft werden. Dieses Experiment bringt den Leser hinter die Sprache und lässt Sinn neu – durchaus poetisch – erfahren.

Da in der Negation der Negation die Aufforderung, doch endlich hinter die Fassade der Beschreibung zu schauen, sei dieser Band dem Leser ans Herz gelegt, dessen Hirnwindungen solche Fahrten aushalten – und den Erkenntnisgewinn goutieren.

 

Südlicher als Leipzig

Hans-Ulrich Treichel, Südraum Leipzig – Gedichte, Frankfurt/Main 2007, Suhrkamp Verlag, ISBM 978-3-518-41873-4

Netfinder (1): http://www.suhrkamp.de
Netfinder (2): http://de.wikipedia.org/wiki/Hans-Ulrich_Treichel

Nun ist nicht jeder Literaturprofessor zugleich ein Dichter, besonders, wenn er in Leipzig lehrt. Auch Preise, s.o., sind keine Gewähr für gute Lyrik. Hier ist das anders. Hans-Ulrich Treichel hat die sprachliche Miniatur einfach „drauf“, wie man gerne flapsig sagt. „Der kann es!“, entfuhr mir beim ersten vorsichtigen Blättern im obigen Band.

Er ist übrigens der, den ich meiner Liebsten schulde; er war also nicht in der Tölzer Buchhandlung „vergraben“, er fand den Weg über ein Geburtstagsgeschenk vor mein kritisches Auge. Und ein Geschenk der Sprache ist er.

Ich bin, wie man weiß, nicht unbedingt ein Freund der lyrischen Prosa. In diesem Band aber findet sich so viele schöne Sprachbilder, beinahe mit wenigen Pinselstrichen auf das Papier gehuscht, wie das die vielen Nachmaler im Süden Europas tun, da, wo die Sonne gleißend, eben südlich, scheint, und der Schatten scharfkantig ist, so scharf geschnitten, dass man sich an ihm selbst schmerzhaft schneiden kann.

So streift der Dichter mit leichter Hand erst durch den „Südraum Leipzig“, bevor er kurz „Platz in Wilmersdorf“, einem Berliner Vorort, findet. Dann bekennt er: „Ich spiele nicht gut Klavier“, um dann auf „Anflug Kiew“ zu gehen. Der Mensch ist in Bewegung, dauernd – spielerisch – im Durchgang und nie wirklich mit sich eins.

Der Band gewährt manchen tiefen Einblick in die Welt des Dichters. Dieser bleibt aber dennoch immer privat. Auch das eine kunstvolle Gratwanderung, den Leser zu berühren, mitzunehmen und trotzdem die letzten Geheimnisse zu bewahren.

Wie fragt das Lyrikich am Schluss des Bandes: „Schreiben Sie eigentlich noch Gedichte?“. Ja, muss man beantworten. Es schreibt. „Wenn mir was einfällt/Wenn mir was hinfällt/Im Dunkeln/Wenn ich allein bin/Wenn ich sehr allein bin…“. Um schließlich so enden: „…Nur wenn ich will/Nur wenn es sein muß/Sonst nie“.

Ich sage hier: Alles zwischen den Punkten ist irgendwie lesenswert. Naja, nicht wirklich alles. Aber wenigstens Vieles. Oder das Meiste, wenn wir eine Sekunde unseren ganzen Liebreiz entfalten …

Weltweitweb, den 01.03.2008

Walther

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