Markus Grundtner © Gianmaria Gava I

Der (Unauf-)Dringliche – Interview mit dem Shooting Star und zugetextet-Autor Markus Grundtner

Geführt von Walther

Lieber Markus, Servus!

Zur Nominierung für die Longlist des Österreichischen Buchpreises 2022 herzlichen Glückwunsch! Das ist Dir bereits mit dem Debütroman widerfahren, was natürlich eine ganz besondere Ehre ist. Zuerst ganz herzlichen Dank, dass Du uns für dieses Gespräch zur Verfügung stehst! Wir haben ein paar Fragen zusammengestellt, davon sind einige, die wir in unserer Interview-Reihe immer wieder stellen. Sie haben mit dem Zustand der deutschsprachigen Literaturszene zu tun, soweit sie noch nicht „etabliert“ ist. Du musst nur diejenigen beantworten, die Du beantworten magst. Evlt. haben wir ein paar Nachfragen, aber das ist eher selten.

Wir haben wieder ganz bewusst Autorinnen und Autoren herausgesucht, die bereits in zugetextet.com veröffentlicht haben, bevor man sie sozusagen „entdeckt“ und mit einem Verlagsvertrag versehen hat. Darunter gehörst auch Du. Daher sind wir besonders stolz, Deinen Erfolg miterleben zu dürfen.

Wie hast Du Dich gefühlt, als die Zusage für die Veröffentlichung Deines ersten Romans „Die Dringlichkeit der Dinge“ kam, das im März 2022 bei der renommierten edition keiper erschienen ist?

Erleichtert und hocherfreut ob der Chance, die ich bekommen habe. Die Zusage war mit dem Caveat verbunden, dass ich auch bereit sein muss, mit einer Lektorin an dem Manuskript zu arbeiten. Und natürlich war ich bereit dazu – ich habe weniger auf eine „Wir veröffentlichen Ihr Buch, wie es ist“-Zusage gewartet, sondern auf die Unterstützung, durch einen neutralen Blick das Buch für die Veröffentlichung noch verbessern zu können. Für manchen mag sich das Durchlaufen eines Lektoratsprozesses vor einer Buchveröffentlichung wie eine Selbstverständlichkeit anhören, aber, was ich von KollegInnen so mitbekommen habe, hätten manche Verlage anscheinend am liebsten fixfertige Bücher und, wenn das nicht möglich ist, zumindest insoweit fertige Bücher, dass man sie ohne Gesichtsverlust auch ohne Feinschliff verlegen kann.

Wie fühlt man sich, wenn man auf der Longlist für den Österreichischen Buchpreis steht?

Immer noch ein wenig überrascht, aber vor allem aufgeregt und dankbar. Es ist ein gutes Gefühl, dass die viele Zeit, die viele Energie und die viele Gedankenarbeit, die ich in das Schreiben meines Debütromans investiert habe, am Ende durch eine solche Wertschätzung belohnt werden. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass sich Nominierungen und Preise nicht kontrollieren lassen und vieles mit glücklichem Zufall verknüpft ist. Jeder Autor und jede Autorin, die ihr Herzblut in ein literarisches Werk investieren, verdienen jedenfalls Aufmerksamkeit.

Wie bekommst Du Familie, Beruf und Autorenschaft unter einen Hut?

Meine Einfälle beziehe ich aus Familie und Beruf hole, um sie als Autor zu verarbeiten. Auch weiterhin liegt für mich in der Juristerei großes Interesse und viel Faszination, hier beginnen sich die Rädchen in meinem Kopf schon im Büro zu drehen, im Privatleben kommt dann Weiteres hinzu, bis dann der Moment da ist, wenn ich zu schreiben beginne. Der wichtigste Wendepunkt meiner Schreiblaufbahn war aber wohl, einzusehen, dass auch nur 20 Minuten Schreibzeit am Tag fruchtbringend sein können und es ein Fehler ist, immer auf diesen einen freien Samstag zu warten, der irgendwann kommen wird, und alle Hoffnung darauf zu legen. Jede Möglichkeit nutzen, wenn auch kurz, aber immer im Bewusstsein, dass der Text vielleicht nicht in den Momenten höchster Konzentration und größter Ruhe entstanden ist und daher Überarbeitung bedarf.

Wie bist Du zum Schreiben gekommen? Wann gab es die ersten Gehversuche? Welche Themen hast Du damals bearbeitet? Wann ist die Idee gereift, Dein Schaffen „öffentlich“ zu machen, also der Kritik auszusetzen?

Schon als Kind habe ich erste „Bücher“ angefangen – meistens nur eine Seite lang und das war es dann. Erinnern kann ich mich an eine Geistergeschichte, die in einer Kirche beginnt. In meiner Jugend habe ich hauptsächlich journalistisch geschrieben, aber auch Kurzprosa und Dramatik. Inhaltlich ging es damals hauptsächlich um die Revolution in der Gesellschaft; anders gesagt: es ging ums Saufen als auflehnende Geste. Damals begann ich zaghaft, die Texte öffentlich zu machen und sie auf Schreibwerkstätten der Kritik anderer auszusetzen. Es dauerte eine Weile, bis ich das Unlustgefühl bewältigen zu können, meine Texte kritisieren zu lassen und auf Basis dieser Kritik zu verbessern, und auch eine Regelmäßigkeit beim Schreiben zu finden. Erst nach meinem Jus-Studium habe ich begonnen, täglich zu schreiben und meine Texte aufs Handwerkliche bei Schreibkursen abklopfen zu lassen, aber mit der nötigen Perspektive, dass es hier um die Verbesserung der Texte geht und nicht um ein abschließendes Urteil.

Welche Zielgruppe(n) hast Du bei Deinen Texten im Sinn?

Nachdem ich mit meinem ersten Buch das Buch geschrieben habe, das ich selbst gerne lesen wollte, bin meine Zielgruppe wohl ich selbst. Aber ganz stimmt das nicht – unter der Annahme, dass der nächste Roman keinen radikalen Wandel mit sich bringt, schreibe ich für Menschen, welche die Welt des Büros und des Formalen kennen (bzw. kennen lernen wollen), diesen Alltag aber aus einem anderen Blickwinkel sehen möchten. Dabei habe ich den Anspruch, mich selbst und die Welt nicht ganz ernst zu nehmen. Was ich aber auch nicht will, ist, das Lesepublikum zum Lachen zu zwingen – damit meine ich, eine Pointe nach der anderen rauszuhauen, damit auch ja eine davon landet. Es gibt Stellen in meinem ersten Roman, über die sich gut lachen lässt, die einen aber auch nachdenklich stimmen können. Gegen den Strich geht mir die Haltung: „Das ist jetzt absolut lustig und diese Figur ist komplett böse und diese Figur vollauf gut und, was die beiden, tun ist für jeden traurig, und, was sie danach tun ist zu 100 % romantisch, und das ist jetzt das definitive Happy End.“ Ich mag die Ambivalenz und nicht die Absolutheit.

Wenn Du die letzten Jahre Revue passieren lasst, was waren die herausragenden Ergebnisse und Ereignisse? Wie wirken bei Dir Leben, Gegenwart, Tagesarbeit, Präsentationsform und Text aufeinander?

Wie an meinem Roman zu sehen ist, sind Leben, Arbeit und Schreiben bei mir eng verzahnt. Das herausragendste Ereignis war wohl, dass ich vor etwa sieben Jahren begonnen habe, konsequent jeden Tag zu schreiben. Ohne diese Regelmäßigkeit hätte es keine ersten Veröffentlichungen gegeben, keine Teilnahme an Wettbewerben und keinen Roman. Ich habe den Text in den Tag integriert. Alles weitere kam mit der Zeit.

In welche Richtung wird sich aus Deiner Sicht die deutschsprachige Gegenwartsliteratur entwickeln? Wo willst Du selbst in zwei bis drei Jahren sein? Wie betrachtest Du die Ist-Situation, dass in den Buchhandlungen keine Lyrik und kaum Kurzgeschichten mehr präsentiert werden und dass auf den deutschsprachigen Bestsellerlisten die Zweitverwertung ausländischer Bestseller dominiert? Würden Sie die Forderung nach einer Bestsellerliste für Lyrik und Kurzgeschichten unterstützen?

Ich persönlich komme nicht mehr mit dem Lesen hinterher – das mag auch an meinem Interesse für alle möglichen Geschichten und Genres liegen. Mir kommt vor, die Literatur wird problemlastiger und nähert sich mehr an den Journalismus an. Jedes Buch braucht einen Konflikt, aber Bücher, die sich aufgrund ihres Inhalts für eine thematische Aufarbeitung in den Medien eignen, generieren aufgrund dieser Gegebenheiten automatisch mehr Aufmerksamkeit. Es geht hier auffallenderweise weniger um grundsätzliche Fragen, sondern mehr um tagesaktuell Spezifisches. Damit verliert die Literatur in mancher Hinsicht ihre Zeitlosigkeit. Was ich schade finde. Ich möchte auch in Zukunft bei zeitloseren, abstrakteren Themen bleiben.

Die Tendenz des Literaturbetriebs alles, was mehr als 100 Seiten hat, als Roman zu etikettieren, und gleichzeitig Lyrik und Kurzprosa sparsam zu verlegen, beschäftigt mich immer wieder. Ich durfte schon ein paar Mal die Aussage vernehmen, dass ein Debüt höchstens einen Umfang von 200 Seiten haben darf, andererseits pendeln sich Neuerscheinungen – außer sie sind von etablierten AutorInnen – bei 200-250 Seiten ein (oder weniger). Es geht hin auf eine bestimmte Konsumlänge und anscheinend wollen die LeserInnen auch Lesestoff für nur ein Wochenende oder Häppchen für die Fahrt in die Arbeit. Dies spricht also auch aus kommerzieller Sicht für Kurzprosa.

Es gab in den letzten Jahren auch Kurzgeschichtenbände (oder auch nur einzelne Kurzgeschichten), die großen Anklang fanden – etwa die von Ferdinand von Schirach oder „Cat Person“ von Kristen Roupenian. Eine raffinierte Kurzgeschichte oder ein raffiniertes Gedicht kann länger hängen bleiben als so mancher Roman. Ich denke, solange ein Lyrikband oder ein Kurzgeschichtenband gut komponiert sind und keine beliebige Zusammenstellung, hat beides seine Berechtigung für eine eigene „Beststellerliste“ oder eine andere Form der Würdigung, die über „Ferner liefen“ hinausgeht.

Was unterscheidet die Literaturförderung in Österreich von der in Deutschland und der Schweiz und der vergleichbarer anderer europäischer Staaten? Wie stellen sich für Dich Indie-Szene und die offizielle Literatur-Preis-Szene zueinander dar? Aus welchen Quellen werden die stärksten Impulse für die deutschsprachige Literatur in Zukunft kommen?

Ich habe persönlich keine Erfahrung mit der Literaturförderung in Deutschland und der Schweiz. Österreich hat eine reichhaltige Stipendienlandschaft, begonnen auf Ebenen der Gemeinde, der Bundesländer und des Bundes (z.B. Schreibresidenzen, Stipendien und Preise). Meinen Brotberuf würde ich dafür aber (noch) nicht aufgeben. In Österreich scheint mir vieles durchlässiger als in Deutschland – von der zwischen Autor und Verlag geschalteten Agentur sprechen österreichische AutorInnen vornehmlich dann, wenn sie nach Deutschland wollen. Von der Schweiz kann ich aber gar nichts sagen, obwohl ich schon Berührungspunkte hatte. Hier sieht man auch, wie sehr die Ländergrenzen die Literatur trennen. Es wird wohl so bleiben, dass die stärksten Impulse auch vom größten Markt ausgehen, nämlich dem deutschen.

Wie siehst Du die starke Verbreitung der Internet-Foren und webbasierten Autoren-Initiativen? Ist aus Deiner Sicht der eBook-basierte Selbstverlag überhaupt eine Alternative zum Verlagsbuch? Wie beurteilst Du die „Nachwuchs- und Talentförderung“ und die Autorenbetreuung der deutschsprachigen Verlage? Sieht das aus deiner Erfahrung in anderen Kulturkreisen anders aus, und könnten / sollten die deutschsprachigen Verlage daraus lernen?

Schreiben ist grundsätzlich ein einsamer Prozess, aber oft auch kein einsamer Prozess. Lernen, besser zu werden, funktioniert nur durch praktische Übung mit Rückmeldungen. Dafür sind Internetforen schon mal gut, besser finde ich, bei diesem Prozess im gleichen Raum zu sein, wenn möglich. Es ist wichtig, entscheiden zu können, welches Feedback AutorInnen sinnvollerweise annehmen sollten und welches ihnen persönlich nicht hilft. Das kritisierende Gegenüber dabei nicht vor einem zu haben bzw. zu kennen, kann da kontraproduktiv sein.

Verlagsmenschen sind auch keine Übermenschen – sie bekommen viel Manuskripte und können nicht alles drucken. Ich finde es gut, dass am Ende, wenn kein Verlag sich eines Manuskripts annehmen möchte bzw. kann, die Möglichkeit da ist, es selbst herauszubringen. Solche AutorInnen haben dann aber auch mehr zu kämpfen. Es gibt genug Beispiele von Büchern, die Verlagen „durchgerutscht“ sind, leider gibt es aber auch eine Masse von Büchern, in der es schwer ist, aufzufallen, und die mit der Grundskepsis kämpfen muss, dass kein neutraler „Gatekeeper“ Vertrauen in die Veröffentlichung gesetzt hat, sondern nur die AutorInnen selbst.

Was die „Nachwuchs- und Talentförderung“ anbelangt, kann ich nur sagen, dass ich sehr viel Glück hatte, bei einem Verlag mit meinem Buch aufzufallen, welcher ein Lektorat in den Entstehungsprozess eingebunden hat. Die Lektoratseinbindung ist leider nicht mehr die Regel. Es sollte einem zu denken geben, dass manche Verlage ein fertiges Produkt wollen – egal, wie die AutorInnen dies geschafft haben (etwa durch selbst bezahltes Lektorat).

Frage 8: Wie sieht die Zusammenarbeit mit Deinem Verlag aus? Helfen Agenturen, oder ist man als Selbstvermarkter besser dran? Siehst Du eine gute Chance, vom Schreiben, von Deiner Kunst in Zukunft gut leben zu können?

Mein Verlag unterstützt alle meine Ideen, um Aufmerksamkeit für mein Buch zu generieren. Wir machen das gemeinsam. Es gibt keine Agentur, die RezensentInnen sucht und Rezensionsexemplare verschickt. Ich denke mir, das würde Zeit sparen. Aber vielleicht sind auch hier die AutorInnen persönlich involviert. Für keinen Autor, für keine Autorin bleibt es heutzutage beim Schreiben allein.

Weil es meiner Ansicht nach nicht planbar ist, vom Schreiben leben zu können, kann ich nur sagen, es gibt wohl eine Chance, vom Schreiben leben zu können, und das sagt doch eigentlich schon alles: Chance ja, Plan nein.

Wir besprechen im Rahmen von Interview und Autorenvorstellung auch Deinen Erstling „Die Dringlichkeit der Dinge. Darf ein Rezensent sich in ein Buch und seinen Autor einfach so verlieben? Dürfen wir nach den obwaltenden Umständen auch das nächste Buch besprechen, wenn es denn kommt? Wann kommt es denn?

Verlieben immer gerne – es gibt sowieso zu wenig Liebe in der Welt. Ihr dürft sehr gerne das nächste Buch besprechen. Ich kann keine gesicherte Auskunft geben, wie lange es dauern wird. Mit der Zeit in der Literatur bzw. im Literaturbetrieb ist es so eine Sache. Meiner bisherigen Erfahrung nach dauert es länger, als man erwartet, aber am Ende genau so lang, wie es sein soll.

Zugetextet.com dankt für das interessante Gespräch und wünscht weiterhin alles Gute und Baba!

Bildnachweis Markus Grundtner: © Gianmaria Gava I

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