Daniel Zipfel Die Wahrheit der Anderen

Wieviel Wahres ist dran an der Jungfrau von Orléans? – Rezension

Daniel Zipfel wirft uns in einen unbestimmbaren Raum zwischen Politik, Judikatur und Medienwahnsinn, in dem jede Wahrheit bis zur Unkenntlichkeit gebogen ist

Rezension von Jan-Marco Jahnke

Daniel Zipfel, Die Wahrheit der anderen, Kremayr & Scheriau, 2020, ISBN: 978-3-218-01207-2, 224 Seiten, 19,90€.

Wir folgen dem jungen Journalisten Tinnermanns, der durch ein eher zufällig entstandenes Bild einer Protestaktion pakistanischer Flüchtlinge eine große Story wittert. In einer Kolumne verdreht er das Leben der jungen Pakistanerin Veena soweit, dass sie ungewollt zur Symbolfigur der Proteste avanciert, die mittlerweile bis zu der Besetzung einer Kirche geführt haben. Immer mehr Interessen laufen bei dem zurückhaltenden Flüchtlingsmädchen zusammen und stetig werden neue Versionen der Wahrheit zutage gefördert. Als es dann zum Prozess kommt, der über Veenas Abschiebung entscheiden soll, steht selbst der aufmerksamste Leser mit einer beklemmenden Ratlosigkeit vor dem Konflikt und weiß schlicht nicht mehr, was er glauben soll. Und auch an dieser Stelle hat das Lügen System, es wird für wahr befunden, was im Interesse der politischen und medialen Akteure ist. Dabei erscheint Veena, um die es eigentlich geht und über deren Zukunft entschieden wird, ganz schwach und bedeutungslos, alle anderen Stimmen sind lauter als ihre. Daniel Zipfel schafft es dabei zum einen, eine unangenehme Aporie zu erzeugen, in die man in Anbetracht der weiten Verflechtungen der Asylpolitik geraten kann und die den Wunsch laut werden lässt, vor all dem einfach die Augen zu verschließen. Zum anderen ist da aber auch ein warmes Mitgefühl mit den Spielbällen dieser Kräfte, eine Stimme für die Menschen, die mit Würde und einem Recht auf Unversehrtheit aus ihrer Heimat geflohen sind. Man kann Daniel Zipfel vielleicht am Ende vorwerfen, dass sein Roman es nicht schafft, den Leser zu überraschen. Aber genau dieser Umstand macht auch eine Ahnung deutlich, die wir im Grunde alle haben. Nämlich, dass die Wahrheit in der Asylpolitik leider keine allzu große Rolle spielt.

 

 

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