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Wiedersehen

von Mario Nater

Holá, ist Taras erstes Wort, wie sie oben angekommen ist, in einem leuchtend gelben Regenponcho, der ihr fast bist zu den Knien reicht, mit lächerlichen Stiefeln, ihrem ausgebeulten Rucksack über der Schulter, die Haare zu einem Dutt erhöht; lang sind sie geworden. Einige Strähnen kleben ihr auf der Stirn.
Ihre vom Regen nassen Finger zittern etwas, das bemerke ich erst jetzt, und unter ihren Augen erkenne ich leichte Schatten. Dazu derselbe zweifelnde Blick wie neulich Nacht. Sonst aber in ihrer Art, wie sie da vor mir steht, so vertraut, so vorsichtig und doch ungeduldig, als wäre seit dem Abschied am Kanal erst ein Tag vergangen. Sie lächelt verlegen, wartet wohl auf meine Begrüßung oder darauf, freundschaftlich umarmt zu werden. Woher soll sie auch wissen, wie leid mir alles tut, das Weglaufen und Nichtreagieren, im Grunde alles, was ich noch bis vorhin, bevor sie klingelte, dachte.
Dass ich mich dafür am liebsten auf der Stelle bei ihr entschuldigen möchte. Nur fertig bringe ich das nicht – spüre stattdessen wieder das Herzklopfen am Hals.

In der Linken hält sie meine Armbanduhr, in der Rechten ein kleines, in Alufolie geschlagenes Päckchen. Nachdenklich dreht sie es.
Stand vor deiner Tür, sagt sie und befühlt die Alufolie. Ist das etwa selbstgebackener Kuchen? Bestimmt sehr lecker! Du hast einen guten Draht zu deinen Nachbarn, was?
Mein Mitbewohner sei für die kommenden zwei Wochen nach Hause gefahren, sage ich, mehr will nicht kommen.
Sie hält mir das Päckchen hin: Das sei echt beneidenswert. Käme bei ihr höchstens zwei-, dreimal im Jahr vor, dass sie selbst was backt. Zu Weihnachten, klar. Dabei hätte sie eigentlich eine große Schwäche für solche Sachen entwickelt; ein flüchtiges Grinsen soll das unterstreichen.

Wir schweigen beide, sehen einander eine Weile an, bis ich nicht anders kann als zu fragen, ob sie nicht reinkommen will. Und Tara nickt mit zartem Eifer. Damit löst sie sich von der Fuß-matte, tritt über die Schwelle herein in den Flur. Ihre Hand kommt mir entgegen, übergibt mir das kleine Paket. Am Handgelenk entdecke ich ihre babyblaue Kinderuhr.
Wir sollten später unbedingt spazieren gehen, schlägt sie vor, ist wirklich schön draußen, obwohl es auf dem Weg hierher stellenweise getröpfelt hat. Gleichzeitig geht einer ihrer Mundwinkel nach oben: getröpfelt. Tara tropft förmlich, sie ist pitschnass, nimmt man`s genau.
Unter dem Regenponcho kommt ein Sommerkleid in dezentem Rot zum Vorschein, worüber Tara, die natürlich mein Zögern bemerkt, gekonnt hinwegzutäuschen versucht: Also das ist deine Wohnung. Hübsch hier! Eine Drehung auf der Stelle, indem sie den Träger ihres Rucksacks von den Schultern gleiten lässt. Viel gibt es ja nicht zu sehen.
Derweil will ich fast sagen: Steht dir.

Ich werfe eben einen Blick in die Küche. Darf ich?, meint sie mit breitem Grinsen und geht mir voraus.
Sie ist mehr zweckmäßig eingerichtet, das gebe ich zu. Vermutlich, überlege ich, wird Tara einen Esstisch vermissen. Dafür aber fehlt der Platz.
Und sie sagt: Den morgendlichen Straßenverkehr behält man von hier oben bestimmt bestens im Blick.
Wie wenig sie selbst hier vor diese Kulisse passt. Steht da, aufrecht wie eine Athene, und das Kleid fällt, als sei sie damit einst auf die Welt gekommen, es steht ihr, betont ihre Figur, währenddessen sich hinter ihr in der Ecke die Pizzakartons stapeln – sie passt einfach nicht ins Bild. Neben die Spüle, wo Fruchtfliegen munter kreisen. Anmerken lässt sich Tara allerdings nichts.

Die Töpfe stehen noch auf dem Herd. Was ich gekocht habe, sind gut dreihundert Gramm Spaghetti, dazu etwas Basilico-Sauce aus dem Glas erhitzt. So viel war eben noch da. Beides scheint inzwischen fertig zu sein. Nur wenigstens Parmesan hätte ich noch einkaufen können, fällt mir da ein.
Der Vorschlag, etwas Einfaches zu kochen, kam übrigens von ihr. Was mir eben gerade einfiele, muss gar nichts großartig Aufwändiges sein. Tara würde sich auch eine Kleinigkeit einfallen lassen. Die Hauptsache sei doch, wir haben einen schönen Abend. Wer hätte ahnen können, dass wir uns überhaupt so schnell wiedersehen. Ein paar hundert Meter von meinem Haus entfernt hatten wir uns getroffen. Tara behauptete ja, das sei reiner Zufall.

Kaffee? Sie deutet auf die leere Kanne. Sollte ich unbedingt mal mit Kardamom probieren. Hätte sie letztens erst für sich entdeckt. Vielleicht wär`s auch was für mich.
Neugierig inspiziert sie die Fächer an der Wand, lacht: Man sieht, es ist Obst im Haus, und pfeift anerkennend, nicht schlecht! Unterdessen hat sie sich einen Apfel gegriffen, wiegt ihn in der Hand.
Mit einer schnellen Handbewegung wedle ich Omas Stimme weg, die fragt: Isst du auch genug? Davon bekommt Tara glücklicherweise nichts mit.
Und Toastbrot?, bemerkt sie und fällt in ihre spöttische Art zurück, tz. Und natürlich aus dem Angebot, eine Macht der Gewohnheit, das sei ihr klar. Kann man nichts gegen machen, kennt sie schließlich auch irgendwie von sich.
Ich schalte beide Herdplatten aus.
Was dagegen, wenn ich kurz das Fenster aufmache?
Nein, warum?
Sie tritt ans Fenster, schiebt die Gardine beiseite, öffnet es, stützt die Hände auf das Fensterbrett, lehnt die Ellenbogen gegen den Fensterrahmen und steckt den Kopf hinaus: Eine Straße, wie Straßen eben so sind. Sie hätte es doch wissen müssen. Wenigstens kein Regen mehr. Ein silberner Wagen parkt gerade ein vor der Tür. Wer aussteigt? Jemand aus dem Haus?
Tara schließt das Fenster wieder.
Als sie auf der Schwelle meines Zimmers steht, sieht sie sich zuerst nur um. Mit einer Spur Verwunderung und einem Blick, der sich zögerlich durchs Zimmer tastet, als müsse erst noch geklärt werden, ob es wirklich meins sein kann. Oder hat sie es genauso erwartet, die Einrichtung? Die Größe?

War bestimmt nicht leicht, das hier reinzukriegen, was? Ein Fingerzeig auf das Klavier. Könne sie sich jedenfalls gut vorstellen; in den dritten Stock, so ganz ohne Aufzug.
Und kichert, mit einem Kopfnicken in Richtung des ein goldener Bilderrahmen ohne Bild: Gerahmtes Weiß, wie kreativ!
Erst danach nimmt sie ihren Rucksack vom Boden und geht hinein, packt nacheinander alles aus und stellt es auf den Tisch. Sagt stolz, indem sie zwei Boxen hochhält: Den Salat habe ich selbst gemacht. In der anderen sei der Nachtisch, nämlich Obst. Daneben legt sie eine Zigarettenschachtel. Auch eine Flasche hat sie mitgebracht; wieder ist es Weißwein, das hätte sie sich gemerkt. Dann fragt sie nach dem Geschirr: In der Küche?
Ich gehe es holen.
Wieder zurück im Zimmer sehe ich ihren raschen Handgriffen zu, mit denen sie fast spielerisch Teller, Gläser, Besteck zurechtrückt, den restlichen Saft aufteilt – es reicht gerade für zwei Gläser -, einen kleinen Schluck in der Flasche herumschwenkt, um alles von dem Fruchtfleisch zu erwischen. Auch die Studentenblume, die ich auf dem Rückweg vom Theater in einem nahegelegenen Park pflückte, findet ihren Platz; sie steckt in einem Wasserglas. Zu guter Letzt zündet Tara eine Kerze an, die sie bei den Kartons neben der Tür hat stehen sehen, und stellt sie mitten auf den Tisch – perfekt! An alles hat sie gedacht. Fehlen eigentlich nur die Töpfe.
Ob ich Klavier spielen kann, fragt Tara. Sie will sich schon setzen, steht aber noch einmal auf und geht hinüber zum Klavier.

Früher habe ich jedem, wenn ich es erwähnte, dass ich Privatstunden nehme, etwas vorspielen müssen, da war die ganze Familie hinterher. Sowas hinterlässt Spuren. Was musste das Teil auch Zuhause mitten im Wohnzimmer stehen. Dieses hier stammt von meinem Vormieter, der sich nach dem Umzug ohnehin ein neues hätte anschaffen wollen. Eigentlich die Gelegenheit, mit dem Üben wieder anzufangen; geschehen ist das nie. Naja und verstimmt ist es außerdem. Überhaupt hielt ich mich immer für zu unbegabt dafür. Wenn ich mir überlege, die vielen Besuche zu Beginn des Studiums, meistens waren es Freunde von Remo, die auf einen Sprung vorbeigekommen waren, nur um ein paar Akkorde zu klimpern, Leute, die ich später nie wiedersah.
Und all diejenigen, die sich schnell von der schmierigen Oberfläche der Klaviatur und den Farbspritzern und Klecksen darauf angeekelt fühlten, ihr stummer Blick, wie sie den Klavierdeckel geöffnet hatten. Ich meine, wozu sauber halten, solange ich das Klavier doch selbst nicht nutze?
Hm? Tara zieht die Brauen hoch.
Was? Nein. Du?
Sie lacht für sich, wiegt den Kopf: Haha, sehr komisch! Du bist mir aber auch ein Spaßkeks; ich meine, wer von uns beiden hat denn eines im Zimmer? Nein, natürlich nicht!
Wie ich sie es betrachtet, keimt in mir der Gedanke, wann wäre ein passenderer Augenblick: Soll ich ihr etwas vorspielen?
Ich aber rühre mich nicht.
Immerhin, nicht jeder könne von sich behaupten, ein eigenes Klavier zu haben, sagt sie wie zu sich selbst. Und sogar in einem so kleinen Zimmer. Dass die Nachbarn da mitmachen. Sie hätte auch gern eins. Es gehöre doch mir – ja?
Interessiert tritt sie näher. Mit ein paar spielerischen Fingerbewegungen gleitet sie über die Klaviatur. Ihr Anschlag ist außerordentlich leicht. Weich geben die Elfenbeintasten nach. Be-stimmt spielt sie oft oder hat es zumindest.
Die Nachbarn, murmele ich. Besser, du spielst nicht.
Auf mein Wort schließt sie behutsam den Klavierdeckel.
Wir setzen uns an den Tisch. Tara rücke ich den Sessel zurecht, sie setzt sich, ich mich neben sie auf den Klappstuhl. In einem Zug trinke ich mein Glas leer.
Ich denke, ich koche mir einen Kaffee, sage ich hastig. Oder gleich eine Kanne voll?
Tara, die ihr Glas gerade ansetzen will: Lieber einen Tee.

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