„Wenn es regnet, werden wir alle nass“ – Die Realität im Kiez auf der Leinwand

von Maja Seiffermann

Vorgeschichte

Eine Filmproduktion an sich ist schon eine Herausforderung. Was bedeutet es dann, mit wenig Erfahrung und einem minimalen Budget eine Filmproduktion aus dem Boden zu stampfen?

Die beiden Berliner, Kubilay Sarikaya und Sedat Kirtan, haben bewiesen, dass das zwar nicht leicht, aber keineswegs unmöglich ist. Der Sozialarbeiter und der Sicherheitsbeauftragte träumten schon lange davon, nicht bloß einen Spielfilm zu produzieren, sondern einen authentischen Film mit, für und über Menschen im Berliner Kiez in die Kinos zu bringen.

Drehort war hauptsächlich Berlin Spandau; ein Viertel, in das viele der hohen Mieten wegen aus der Stadtmitte gedrängt werden. Moritz Bleibtreu, der in seiner Jugend aus einem nobleren Viertel in Hamburg ins Rotlichtviertel zog, kennt das Leben im Kiez, unterstützt die Intention der Drehbuchautoren und stieg deshalb als Produzent mit ein. Von der Idee des Filmes bis zur tatsächlichen Umsetzung bzw. Veröffentlichung 2017 vergingen acht Jahre.

 

Inhalt

Familiye handelt von dem spielsüchtigen Miko und seinem Bruder Muhammed aus dem Berliner Kiez. Die beiden sind fünf Jahre lang ohne ihren Bruder Danyal ausgekommen, der eine Haftstrafe verbüßen musste. Nach seiner Rückkehr findet er Miko schwer verschuldet und Muhammed, der das Down-Syndrom hat, verwahrlost vor. Danyal bleibt nichts anderes übrig als Geld zu verdienen und seinem Bruder ein gutes Leben vorzuleben.

Weil sich jedoch niemand um wichtige Dokumente von Muhammed gekümmert hat, soll er in eine Einrichtung kommen. Aus Verzweiflung lässt sich Danyal auf einen Deal ein, bei dem er Kokain schmuggeln und viel Geld bekommen soll. Der Deal läuft schief, als sich Personen von außen am Deal bereichern wollen und sogar Muhammed entführen. Wie es mit den Brüdern weitergeht, lassen die Regisseure offen.

 

Die Zuschauerschaft

Moritz Bleibtreu hält den Film für „Ehrliches Independentkino von der Straße für die Straße.“ Diesem Anspruch wird der Film meiner Meinung nach nicht ganz gerecht. Leider erreicht er nämlich nicht diejenigen, die auch in dem Film mitspielen, nämlich die „urbane(n) Subkulturen“[1].

Ich glaube eher, dass er gerade diejenigen erreicht, die absolut nichts mit dem Kiez zu tun haben. Aus dem einfachen Grund, dass man eher dazu tendiert, einen Film anzuschauen, der einem nicht das eigene Leben widerspiegelt und dann oft Mitleid mit den Darsteller*innen hat.

 

Rezension

Das macht den Film aber keineswegs schlecht. Ich war positiv überrascht über die simplen Methoden, mit denen intensive Gefühle übermittelt werden; z.B., dass die Kamera die meiste Zeit über mit den Personen mitläuft und es auch einige stumme Passagen gibt, in denen man die Personen einfach nur beobachtet. Das gibt dem Film etwas Dynamisches, was man nicht oft zu sehen bekommt.

Hinzu kommt, dass der Film in schwarz-weiß gedreht wurde, was dem ganzen Stil, eine Prise Mysteriösität sowie etwas Ernsthaftes, Seriöses verleiht, das einen zum Hinschauen zwingt.

Was mir ebenfalls gefällt, ist, dass es nie ganz ruhig wird, weder von der Lautstärke noch von der Stimmung her; Echte Polizeisirenen und Schreie im Hintergrund wurden beispielsweise nicht herausgeschnitten.

Schön ist auch die Implementierung des Filmtitels im Film; Familiye ist die Unterstützung der Nachbarschaft bei der Jobsuche oder bei Muhammeds Rettung. Außerdem sind die schönsten, am meisten mit Lachen und Freude erfüllten Momente, wenn die Familiye beisammen ist.

Jede Rolle hat ihren Zweck und Grund, Teil der Familiye zu sein. Muhammed z.B. bringt mehr Empathie und Freude zutage als die meisten Personen aus dem Alltag, auch wenn er nicht spricht, wie wir es von den meisten Personen gewohnt sind. Dann die anderen Brüder, die starke Gegensätze sind oder die Freunde und Kriminellen, die Teil der Besetzung sind.

Sila, leider als eine der wenigen Frauen, ist ebenfalls essenziell und steht für noch ein anderes Leben als das der Brüder.

Sehr gelungen finde ich darüber hinaus die Rolle zweier Jugendamtmitarbeiter, die am Ende Muhammed abholen sollen. Sie wollen möglichst wenig Zeit in Spandau verbringen und wagen weitere Schritte nur mit Polizeibegleitung. Sie wirken in Spandau wie Aliens, weil sie sich sowohl in ihrem Aussehen als auch in der Art zu sprechen von den Bewohner*innen Spandaus unterscheiden.

 

Ein paar Worte zu anderen Kritiken

Ein großer Kritikpunkt einiger Medien war die Beteiligung der Rapper Xatar und Haftbefehl. Xatar beispielsweise saß wegen Raub und Körperverletzung im Gefängnis und Haftbefehl werden antisemitische Äußerungen vorgeworfen.

Solche Dinge dürfen nicht unkommentiert bleiben, einen Grund zum Ausschluss solcher Menschen aus einem Film, in dem sie sich selbst spielen, sehe ich darin aber definitiv nicht.

 

Fazit

Nur vom Ende habe ich mir etwas anderes erhofft, weil der Kokaindeal mir doch ein bisschen zu brutal war. Ein Happy End brauche ich nicht, aber etwas, Greifbareres als eine Schießerei und Muhammeds Entführung.

Ich würde den Film noch einmal schauen, weil für mich einige Dinge ungeklärt geblieben sind und weil das Faszinierende darin besteht, dass der Film ein Leben zeigt, das zwar echt, aber trotzdem filmreif ist. bzw. etwas Filmreifes ist, das das Leben ist.

Allerdings habe ich ein seltsames Phänomen festgestellt, nämlich, dass ich als Außenstehende das Gefühl habe, ich dürfe mir kein Urteil über den Film bilden, weil er das Leben von echten Menschen darstellen soll.

Vielleicht hat der Film damit erreicht, was er erreichen wollte oder vielleicht hat der Film auch nichts geändert, weil ich damit beweise, noch immer im Prinzip wir und die anderen zu denken.

Deshalb muss sich dringend etwas ändern. Das wird allerdings wahrscheinlich noch lange dauern. Aber wie hat es der Bäcker aus dem Film so treffend formuliert?

„Von Geduld die Wurzel ist bitter. Die Frucht ist süß.“

 

Für Interessierte:

[1] https://www.stern.de/neon/feierabend/film-streaming/moritz-bleibtreu-ueber-seinen-film-familiye-im-kino–das-gangster-genre-funktioniert-7967560.html

 

Rezension von Maja Seiffermann

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