Von der Kunst des Prosaschreibens – Dialoge – eine Kunst für sich
Kluge Hinweise von Mara Laue
2. Sprachhinweise und Unterfütterungen
Abgesehen vom Sprachcharakteristikum müssen die Lesenden jederzeit genau wissen, wer gerade spricht. Zwar muss man nicht hinter jeder wörtlichen Rede anfügen „sagte/fragte/antwortete er/sie/N.N.“, aber spätestens nach dem dritten Doppel von Rede und Gegenrede muss diese Information in irgendeiner Form eingeflochten werden. Das muss nicht zwangsläufig mit „sagte/fragte …“ geschehen. Unsere Figuren reden einander zwischendurch auch mit Namen an oder sind, während sie sich unterhalten, mit anderen Dingen beschäftigt, die wir ruhig beschreiben sollen und sogar müssen, um unsere Dialog lebendig zu gestalten.
Beispiel:
Alex blickte Oliver auffordernd an. „Also, wir sind jetzt unter uns. Willst du den Rest des Abends Trübsal blasen, oder sagst du mir endlich, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist?“
Oliver schüttelte den Kopf. „Das ist keine Laus, das ist eine ganze Läuseschar.“ Er starrte in sein Bierglas, ehe er es an die Lippen setzte und in einem Zug austrank. „Ich …“
Er räusperte sich. „Also, Kira ist … Ich meine …“
Alex lachte und schlug ihm auf die Schulter. „Mann, was ist denn daran so schlimm, dass du dich in sie verliebt hast? Oder will sie von dir nichts wissen?“
Oliver zuckte mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung.“
Alex starrte ihn sekundenlang an. „Soll das heißen, dass du ihr das nicht gesagt hast?“
Oliver runzelte finster die Stirn und blickte Alex an, als hätte er etwas Dummes gesagt. „Nein, ich habe es ihr nicht gesagt. Sie ist mit Jan zusammen. Ich breche in keine Beziehung ein. Außerdem besteht immer noch die Möglichkeit, dass sie am Diebstahl der Daten beteiligt war.“ Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Die Geste wirkte müde.
Alex trank ebenfalls sein Bier aus und signalisierte dem Barkeeper, ihnen beiden ein neues Glas zu zapfen. „Meiner Meinung nach hat Kira damit nichts zu tun.“ Er sah Oliver in die Augen. „Gib euch beiden eine Chance, Olli. Wenn du es nicht tust, wirst du es wahrscheinlich bis ans Ende deines Lebens bereuen.“
Während die beiden Männer reden, trinken sie Bier. Alex lacht zwischendurch, zuckt mit den Schultern, Oliver fährt sich mit der Hand über das Gesicht. Wir erfahren, dass er müde ist und sich hilflos, vielleicht sogar unglücklich fühlt. Dadurch werden die Figuren lebendig. Hier zum Vergleich noch einmal dieselbe Szene ohne diese Gesten/Tätigkeiten.
„Also, wir sind jetzt unter uns. Willst du den Rest des Abends Trübsal blasen, oder sagst du mir endlich, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist?“
„Das ist keine Laus, das ist eine ganze Läuseschar. Ich … Also, Kira ist … Ich meine …“
„Mann, was ist denn daran so schlimm, dass du dich in sie verliebt hast? Oder will sie von dir nichts wissen?“
„Ich habe keine Ahnung.“
„Soll das heißen, dass du ihr das nicht gesagt hast?“
„Nein, ich habe es ihr nicht gesagt. Sie ist mit Jan zusammen. Ich breche in keine Beziehung ein. Außerdem besteht immer noch die Möglichkeit, dass sie am Diebstahl der Daten beteiligt war.“
„Meiner Meinung nach hat Kira damit nichts zu tun. Gib euch beiden eine Chance, Olli. Wenn du es nicht tust, wirst du es wahrscheinlich bis ans Ende deines Lebens bereuen.“
Dadurch, dass die Männer einander bis auf eine Ausnahme nicht mit Namen anreden, wissen wir nicht immer auf Anhieb, wer gerade spricht. Außerdem hat die Szene ohne die „Unterfütterung“ mit der Beschreibung dessen, was Oliver und Alex tun, während sie sich unterhalten, deutlich an Lebendigkeit verloren. Dieser Fehler passiert Neulingen recht häufig. Sie schreiben ihre Dialoge ausschließlich als aneinandergereihte wörtliche Rede und Gegenrede, als säßen oder ständen sich die Figuren während der gesamten Zeit reglos gegenüber.
Bei Streitgesprächen und in Kurzgeschichten ist das streckenweise (!) okay. In Actionszenen müssen wir sogar (weitgehend) auf die Zwischenbemerkungen verzichten, da diese unter Umständen die Dynamik aus der Action nehmen. Ansonsten lassen wir unsere Figuren agieren, nebenbei etwas tun, aufstehen und sich einen Kaffee einschenken, sich beim Trinken den Mund verbrennen, gestikulieren usw., bevor sie wieder etwas sagen.
Dies gilt auch, wenn wir den Dialog eines Telefongesprächs schreiben. Beobachten wir uns einmal beim Telefonieren: Wir gestikulieren, nicken oder schütteln den Kopf, obwohl die Menschen, mit denen wir sprechen, uns nicht sehen können. Wir schenken uns zwischendurch ein Getränk ein und/oder trinken es, wir spielen mit irgendetwas, kratzen uns am Kopf oder anderswo oder malen nebenbei Männchen, Linien, Kreise, sonst was auf dem Notizblock neben dem Telefon. Oder sehen nebenher einen Film.
Allerdings sollte die von uns beschriebene Tätigkeit immer zur Situation der Handlung und evt. auch zum Inhalt des Dialogs passen.
HINWEIS zum sogenannten Inquit (lat. „sagte er/sie“).
Obwohl der berühmte und sehr erfolgreiche Schriftsteller Elmore Leonard in seinem Schreibratgeber „10 Rules of Writing“ („Zehn Schreibregeln“) befiehlt: „Never use another word than ‚said’ to carry dialogue!“ („Verwenden Sie niemals ein anderes Wort als ‚sagte’, um einen Dialog zu unterfüttern!“), sollten wir ihm in diesem Punkt nicht gehorchen. Wenn wir ausschließlich den Inquit verwenden, macht das unsere Dialoge (zu) eintönig, weshalb er bei deutschen Verlagen verpönt ist.
Lassen wir unsere Figuren lebendig sprechen! Es gibt mehr als eine Möglichkeit, einen Satz oder ein Wort auszusprechen, als ihn/es neutral zu „sagen“. Dieses Wort transportiert auf dem Hintergrund unserer alltäglichen Lebenserfahrung zwei Dinge: einen bestimmten (neutralen) Tonfall und eine normale Lautstärke. Beides ist aber nicht für jede Situation angemessen.
Ein Mann rennt aus einem brennenden Haus: „Feuer!“, sagte er. Das hat er garantiert nicht „gesagt“, sondern gebrüllt, geschrien, so laut er konnte. Zwei Jäger schleichen sich an einen Hirsch an: „Du hast nur einen einzigen Schuss, also musst du genau zielen“, sagte er. Wenn er das „gesagt“ hätte, hätte der Hirsch ihn gehört und wäre geflüchtet. Der Sprecher wird also geflüstert oder gewispert haben.
Je nach Situation und Stimmung unserer Figuren flüstern sie, fauchen sich an, wenn sie wütend sind, schreien, brüllen, knurren, kreischen, wispern, meinen, erklären, fragen, erkundigen sich, höhnen, spucken Worte (bildlich gesprochen) aus, haken nach, stoßen etwas hervor, stellen etwas fest/klar, gurren, zischen … Ihre Stimmen hören sich an „wie zu Sprache gewordenes Eis“, klingen ironisch, sarkastisch, zynisch, leise, laut … Es gibt unzählige Wörter, mit denen wir einem Satz Leben verleihen können. Machen wir davon Gebrauch!
Wir sollten jedoch nach Möglichkeit auf Formulierungen verzichten wie „sagte er scharf“, „widersprach sie giftig“, „sagte das Kind leise“ und so weiter. Die Schärfe, das Gift und die Lautstärke kann man entweder durch den Inhalt des Gesagten oder mit einem anderen Begriff als dem neutralen „sagen“ ausdrücken. Am besten eignen sich dafür der wörtlichen Rede nachgestellte, eigenständige Sätze: „Die Ironie war nicht zu überhören.“ „Simons Stimme triefte vor Sarkasmus.“ „Ihr Gebrüll hatte man bestimmt noch zwei Häuser weiter hören können.“ „Das Gift in ihrer Stimme hätte ausgereicht, einen Elefanten zu töten.“
Es gibt jedoch den Konsens, dass bestimmte Formulierungen tabu sind. In der Regel handelt es sich dabei um Wörter, die eine Bedeutung haben, welche auch im weitesten Sinn nichts mit Sprechen zu tun hat. Eine beliebte, aber falsche Formulierung ist, hinter eine wörtliche Rede „lachte er/sie“ zu setzen. Es gilt die eiserne Regel, dass man einen Satz nicht lachen/kichern kann. Man kann ihn allenfalls lachend oder kichernd sprechen, aber Lachen und Sprechen sind nun mal zwei verschiedene Vorgänge. Machen wir zwei eigenständige Sätze daraus: „Das glaube ich jetzt nicht.“ Er lachte. Oder: Er lachte. „Das glaube ich jetzt nicht.“
Für manche Sprachpuristinnen und -puristen unter den Lektorierenden trifft diese Einschränkung auch auf Wörter wie knurren, fauchen, kreischen und ähnliche zu. Sollte in einem Text eine solche Formulierung („…knurrte er“) bemängelt werden, ändern wir die in die Verlaufsform „… sagte er knurrend“. Das dürfte auch den pingeligsten Lektorierenden genügen. Falls diese in dem Fall an der eher unschönen Verlaufsform Anstoß nehmen (und es gibt solche Lektorierenden), dann argumentieren wir mit der Tatsache, dass es ein Unterschied ist, ob man knurrend etwas spricht oder erst knurrt und danach spricht oder umgekehrt, was im realen Leben kein Mensch tut.
Die Wörter „meinen“ und „erklären“ verwenden wir aber ausschließlich, wenn unsere Figur eine Meinung äußert oder etwas erklärt. „Ich gehe nachher spazieren“, ist keine Erklärung, sondern eine Feststellung oder Ankündigung. „Blätter sind grün, weil sie Chlorophyll enthalten“, erklärt etwas. Ebenso: „An der nächsten Ecke gehen Sie links, dann bis zum Dorfschild geradeaus und biegen dahinter in den Feldweg auf der rechten Seite ein.“ Hier wird ein Weg erklärt. „Du musst los, sonst kommst du zu spät“, ist keine Meinung, sondern eine Tatsache; „Ich halte Kira für einen guten Menschen“, ist dagegen eine Meinung.
Wenn mehr als zwei Personen miteinander reden, müssen wir besonders darauf achten, dass die Lesenden immer genau im Bilde sind, wer gerade spricht. Im folgenden Beispiel unterhalten sich fünf Personen, und wir wissen zu jeder Zeit, wer was sagt.
„Und was machen wir jetzt?“ Jack blickte in die Runde. Er wirkte ratlos.
Ron zuckte mit den Schultern. „Wir haben die Spur irgendwo zwischen dem Fluss und dem Dorf verloren. Es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als denselben Weg zurückzugehen, bis wir sie wiedergefunden haben.“
„Das kostet uns drei Tage Zeit, wenn wir Pech haben“, protestierte Laura. „Das können wir uns nicht leisten.“
„Weißt du was Besseres?“, fauchte Sarah. „Blindlings hier herumzusuchen, kostet uns unter Umständen noch mehr Zeit.“
„Ich denke, wir haben noch eine andere Möglichkeit“, meinte Spike.
Ein Hinweis zu den Erläuterungen zwischen der wörtlichen Rede. Wir sollten einen begonnenen Satz einer Figur so wenig wie möglich und nur an Stellen unterbrechen, an denen es erforderlich ist, um zum Beispiel den Lesenden mitzuteilen, auf welche Weise etwas gesagt wird oder welche Handlung jemand vornimmt, während er/sie spricht. Wenn wir etwas erklären und/oder anzeigen wollen, wer gerade spricht, tun wir das so weit wie möglich auf andere Weise. Zum Beispiel so:
„Ich denke, wir haben noch eine andere Möglichkeit“, meinte Spike. Dieser Satz hätte auch lauten können: „Ich denke“, sagte Spike, „wir haben noch eine andere Möglichkeit.“ Hier wurde die wörtliche Rede aber unschön unterbrochen. Solche Unterbrechungen sollten wir vermeiden.
Wichtig ist ebenfalls, dass die Unterfütterungen inhaltlich zur wörtlichen Rede passen. Wenn jemand stottern oder lallen soll, dann MUSS er das in der wörtlichen Rede tatsächlich tun und wir diese auch entsprechend schreiben.
„Ich glaube, ich habe zu viel Alkohol getrunken“, lallte er. – Gelogen! Gemäß dem, WIE „er“ das gesagt hat, hat er nicht gelallt, sondern ganz normal gesprochen. Lallen geht z. B. so: „Isch ’laube, isch’ab suuu viel Al’o’ol ’edrunkn.“
„Tut mir leid! Das war ein Versehen!“, stotterte Tim. – Gelogen! Er hat nicht im Mindesten gestottert. Soll er stottern, müssen wir ihn das auch tun lassen: „T-tut m-mir leid! D-das w-war ein V-Versehen!“
Gerade auch solche Dinge tragen sehr zur Intensität, Lebendigkeit und Authentizität von Dialogen bei. Außerdem machen sie sie glaubwürdiger.
Ein beliebter Fehler, der keineswegs nur Neulingen passiert, ist die häufige Namensnennung der angesprochenen Personen im Dialog.
„Tim, reichst du mir mal die Kneifzange?“
Er wühlte im Werkzeugkasten, fischte die Zange heraus und hielt sie Janna hin.
„Danke. Sag mal, Tim, hast du Lust, nachher eine Radtour zu machen?“
Er stöhnte. „Bei der Hitze? Nee, Janna, da lass uns lieber ins Schwimmbad gehen.“
„Ach, komm schon, Tim. Schwimmen gehen können wir hinterher. Dann haben wir mehr davon.“
Da hier nur zwei Personen agieren und wir bereits in den ersten beiden Sätzen ihre Identität erfahren, ist eine nochmalige Anrede von Tim und Janna in der wörtlichen Rede nicht erforderlich. Die Nennung seines Namens im ersten und ihres im zweiten Satz genügt völlig.
Betrachten wir einmal unsere realen Gespräche, die wir im Alltag führen. Wir reden unsere Gesprächspartnerinnen/-partner dabei äußerst selten mit Namen an. In der Regel nur beim ersten Satz, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen beziehungsweise in einer Gruppe, um zu signalisieren, wer gemeint ist. Danach nicht mehr, es sei denn, wir wollten damit etwas betonen:
„Was willst du mir damit sagen, Bernd?“
„Na, was wohl?“
„Bernd Janssen, hast du mir tatsächlich gerade einen Heiratsantrag gemacht?“
Lassen wir also in unseren Dialogen unsere Figuren einander nur dann mit Namen anreden, wenn es unerlässlich ist. Am besten liest man sich die fertigen Dialoge laut vor. Spätestens dabei wird eine zu häufige namentliche Anrede und werden uns auch andere Fehler auffallen.
In der nächsten Folge:
- Männer reden anders. Frauen auch.
In weiteren Folgen:
- Dialekte und Fremdsprachigkeit
- Nonverbale Dialoge
- Innerer Monolog, erlebte und indirekte Rede