Mara Laue: Von der Idee zum fertigen Text VSS Verlag

Von der Kunst des Prosaschreibens – 1. Schreiben ist ein Handwerk

Tipps von Mara Laue

Noch immer hält sich hartnäckig das Gerücht, dass zum Schreiben von Geschichten oder Romanen Talent ausreicht. Wobei „Talent“ meistens interpretiert wird als die Lust am Fabulieren, am Erfinden von Geschichten. Fakt ist, dass man Kreativität tatsächlich nicht erlernen kann. Wenn man mit ihr gesegnet ist, kann man sie trainieren. Denn in gewisser Weise funktioniert sie wie ein Muskel, der ohne Training verkümmert oder nicht zur optimalen Leistung gebracht werden kann. Alles andere – die Ausarbeitung der Geschichte, die Spannungserzeugung, packende Dialoge, lebendige Beschreibungen, die das „Kopfkino“ in Gang setzen, die Entwicklung glaubhafter und interessanter Charaktere, das Spielen mit den Perspektiven und alles Weitere – ist eine Frage der Technik = der Beherrschung des Handwerks.

Denn Fakt ist auch, dass das Talent maximal 10 % des Erfolgs ausmacht (die vielzitierte „Inspiration“ sogar nur ein Prozent). Der Rest ist Arbeit und eben Handwerk. Auch das Ausnahmetalent Mozart musste ständig üben, um seine Werke zur bestmöglichen Entfaltung zu bringen. Vergleicht man seine ersten Werke mit den späteren, stellt man fest, dass er sich im Lauf der Zeit erheblich verbessert hat. Und wäre Schreiben kein „Handwerk“, gäbe es nicht die entsprechenden Studiengänge an diversen Universitäten für „literarisches Schreiben“ mit einer Regelstudienzeit von sechs Semestern. Aber auch wer nicht studiert, braucht bei regelmäßiger Arbeit = Lernen mindestens drei Jahre, um die Grundlagen zu verinnerlichen.

Wer das Handwerk beherrscht, kann allein aufgrund dessen (mit etwas Erfahrung und Übung) ein gutes Werk schreiben, auch wenn einem die Muse nicht dauerknutschend auf der Schulter sitzt. Ohne Kenntnisse des Handwerks bringen nicht einmal die Überstunden der Muse einen Text zustande, den man gern liest. Nicht nur deshalb ist erforderlich, das Handwerk zu erlernen, sondern auch, weil wir das unserem Lesepublikum schuldig sind. Die Leute geben Geld aus für unsere Bücher. Für dieses Geld schulden wir ihnen ein Mindestmaß (und idealerweise nicht nur ein Mindestmaß, sondern das Optimum) an Qualität. Liefern wir die nicht, schaden wir damit unserem Ruf als ernstzunehmende Autorinnen/Autoren.

Nebenbei: Das Dümmste, was mir mal ein Autor sagte als Begründung dafür, dass er „nie einen Schreibkurs besuchen oder Schreibratgeber lesen“ werde, lautete, er wolle sich dadurch „die Kreativität nicht kaputtmachen lassen“. Witz, komm raus! Du bist umzingelt! Fakt ist: Erst die Beherrschung des Handwerks ermöglicht uns, unsere literarische Kreativität zur bestmöglichen Entfaltung zu bringen. Die besten Ideen nutzen nichts, wenn wir nicht wissen, wie wir aus ihnen erfolgreiche Geschichten weben können.

Und nein, dass man früher in der Schule tolle Aufsätze geschrieben hat, reicht nicht aus, um gute literarische Texte zu schreiben. Denn ein Aufsatz ist ein ganz anderes Medium als eine literarische Geschichte oder gar ein Roman. Die in der Literatur verwendete Sprache, die Art zu erzählen, hat nichts mit dem „Aufsatzstil“ gemein. Leider hat sich gerade diese Tatsache noch nicht flächendeckend bei allen Schreibbegeisterten herumgesprochen, denn viele (in der Regel im Eigenverlag) veröffentlichte Werke lesen sich wie ein Schulaufsatz. Sie klingen wie die Tonspur für Sehbehinderte im Fernsehen, bei der eine Stimme aus dem Off den Menschen, die das Bild nicht sehen können, aufzählt, was zu sehen ist – trocken, nüchtern, emotionslos und dementsprechend langweilig. Das gute Erzählen einer Geschichte geht anders.

Dieses „Andere“ beginnt damit, sich bewusst zu machen, was eine Geschichte überhaupt ausmacht und sie vom Aufsatz unterscheidet. Eine literarische Geschichte hat vier grundlegenden Kennzeichen:

    1. Jede Geschichte, ob lang oder kurz, hat einen Anfang (eine Einleitung, die auf unterschiedliche Weise den Lesenden mitteilt, wer „auftritt“, wo die Handlung spielt und worum es in diesem Moment des Geschehens geht), einen Mittelteil, mindestens einen Höhepunkt (bei Romanen sind es immer mehrere) und einen Schluss, der die Handlung sinnvoll auflöst oder das Ende bewusst offen lässt, aber auch ein offenes Ende ist ein Schluss.
    2. Jede Geschichte hat einen Sinn, einen wichtigen Kernpunkt und eine Entwicklung der Hauptfigur, die ihrem Leben und/oder ihrer Einstellung/Ansicht eine neue, mehr oder weniger folgenschwere Richtung gibt. (Fehlt dieser Sinn, ist es nur ein Abenteuer.) Sie beinhaltet immer einen Konflikt bzw. eine Aufgabe, die Heldin/Held lösen müssen (auch wenn sie am Ende damit scheitern) und/oder sie enthält eine Botschaft für den Leser. Dies gilt besonders für Kurzgeschichten, die gerade auch in ihren Anfängen oft als subtiles Mittel für Gesellschafts- und Sozialkritik bzw. als allgemeine „Ratgeber“ fungierten. In jedem Fall sollten die Lesenden am Ende nicht ratlos mit der Frage dastehen: „Und was sollte das Ganze? Was wollte die Autorin/der Autor uns damit sagen?“
    3. Jede Geschichte lebt von HANDLUNG = jemand tut etwas oder erlebt/erleidet etwas, was für den Verlauf der Geschichte WICHTIG ist. Alle Handlungen sollten grundsätzlich für die Geschichte oder die Charakterisierung einer Figur wichtig sein, sie entwickeln und voranbringen oder wichtige Informationen liefern, sonst sind sie überflüssig. (Solche überflüssigen Einschübe nennt man „Füllszenen/Füllkapitel“.) Eine Aufzählung von Tätigkeiten (à la „Erst tat er/sie dies, danach das, schließlich jenes und ging anschließend zu Bett.“) ist keine Handlung. Jede Handlung in einer Story, einem Roman MUSS eine Relevanz und vor allem eine Konsequenz FÜR die Geschichte haben. Und in Kurzgeschichten noch mehr als in Romanen.
    4. Jede Handlung wird durch die „Augen“ = aus der Perspektive einer Person oder verschiedener (wechselnder) Personen erzählt. (Die auktoriale Perspektive, bei der die Autorinnen/Autoren den Lesenden neutral berichten, was sich ereignet = Aufsatzstil, ist für belletristische Geschichten nicht mehr zeitgemäß, obwohl es hier bei Kurzgeschichten Ausnahmen gibt.)

Jeder Text, der diese Kriterien nicht erfüllt, ist keine belletristische Geschichte. Obendrein: Wenn eine ganze Story oder noch schlimmer ein Roman mit mehreren Hundert Seiten im „Aufsatzstil“ geschrieben wird, liest kein Mensch den Text zu Ende, weil er todlangweilig ist.

Die Langeweile stellt sich aber auch bei Geschichten/Romanen ein, die ungünstig aufgebaut sind. Stehen Beschreibungen oder sogar die gesamte Vorgeschichte der Handlung (ausufernd) an der falschen Stelle oder werden sie auf suboptimale Weise präsentiert, bleibt die Spannung auf der Strecke.

Diese Blogserie gibt Schreibbegeisterten nicht nur die Grundlagen, sondern auch wertvolle Tipps und Kniffe an die Hand, um die eigenen Texte zu optimieren. In der nächsten Folge beschäftigen wir uns eingehender mit dem Aufbau einer Geschichte.

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