Mario, Monster Hunter und Co. im Feuilleton
Videospiele in Arthouse und Literatur
Essay von Ronny Thon
Videospiele sind mittlerweile fester Bestandteil der Popkultur und in zahlreichen medialen Bereichen wie in der Musik sind Anspielungen und sogar direkte Zitate aus der Gaming-Szene zu entdecken. Vor allem Filme widmen sich oft dem Thema, egal ob es sich hierbei um Klassiker wie „War Games“, „Tron“ und „Existenz“ oder um moderne Hochglanzproduktionen wie „Ready Player One“, „Pixels“ und „Ralph reichts“ handelt. Doch wie sieht es eigentlich in den Bereichen aus, die besonders als künstlerisch und bisweilen auch als „anspruchsvoll“ gelten und nicht so sehr dem Mainstream entsprechen, nämlich in der Literatur und in Arthouse-Filmen- und Serien?
In Filmen können Videospiele nebensächlich auftreten, wie im Finale von „Tár“ (2022). Das Porträt einer Weltklassedirigentin endet mit einer Aufführung der Musik aus „Monster Hunter“ vor Zuschauern, die in Cosplay-Kostümen gekleidet sind. Um die Szene und den Veränderungsprozess der Hauptfigur komplett zu verstehen, muss man die Reihe kennen. Sie ist also kein schmückendes Beiwerk im Film, sondern gibt Auskunft über die Entwicklung der Karriere von der Hauptfigur.
Der Psychothriller „Elle“ (2016) sorgte für Aufsehen, weil es das Thema Vergewaltigung mit aller Härte und Unmittelbarkeit darstellt. War die Hauptfigur im Roman aus dem Jahr 2012 noch eine Filmemacherin, ist sie nun die Geschäftsführerin eines Spieleentwicklers. Durch ihre Arbeit, versucht sie, sich von traumatischen Erfahrungen abzulenken, doch später verfolgt sie der Täter auch in ihrer Rolle als Entwicklerin. Die Szene mit der manipulierten Spielsequenz ist dabei besonders erschütternd.
Noch recht neu sind direkte Videospielbezüge in TV- und Streamingserien. So haben beispielsweise zwei Sitcoms das Erzählpotential erkannt und stellen jeweils sogenannte MMPORGs in den Vordergrund. Dabei handelt es sich um Mehrspieler-Rollenspiele in offenen Welten, die sehr oft vom Fantasy-Genre beeinflusst sind. „Mythic Quest“ (seit 2020) erzählt von den Entwicklern des titelgebenden Spiels und wird zum Teil von Ubisoft produziert. Momentan arbeitet Apple TV+ an einem Spin Off namens „Mere Mortals“, bei der Ashley Burch als Produzentin und Autorin beteiligt sein soll. Bislang kennt man Burch vor allem als Sprecherin in Videospielen wie „Life is Strange“ oder „Horizon Zero Dawn“.
Die Serie „Dead Pixels“ (2019-2021) hat drei Freunde im Blick, die leidenschaftlich gern „Kingdom Scrolls“ spielen. In beiden Fällen sind die gezeigten Spiele fiktiv. Hervorzuheben ist, dass die Charaktere zwar Nerds sind, aber durchaus „normaler“ wirken, als Figuren in anderen Produktionen wie „The Big Bang Theory“, deren stereotype Darstellung auch kritisch betrachtet wurde. Ihr Autor Jon Brown berichtete zuvor als Journalist über die Gaming-Branche und wollte mit „Dead Pixels“ nach eigener Aussage eine andere Darstellung von Nerds etablieren, die keine bedauernswerten Außenseiter sind.
Abseits von Filmen und Serien über fiktive Spiele, gibt es auch Beispiele für Produktionen, die einen wahren Hintergrund aufweisen. Bekannte Dokumentarfilme zum Thema sind „The King of Kong: A Fistful Of Quarters“ (2007) über die Rivalität zweier „Donkey Kong“-Spieler und „Indie Game: The Movie“ (2012), der die Entwicklung von Independent Games wie „Super Meat Boy“ präsentiert.
2023 erschien der Spielfilm „Tetris“ über die verrückte und durchaus spannende Entstehungsgeschichte des Kultspiels, auch wenn die Geschichte etwas dramatisiert dargestellt wurde. Ein findiger Unternehmer entdeckt auf einer Messe das süchtig machende Knobelspiel und sucht in der Sowjetunion dessen Schöpfer. Doch dann betritt der KGB die Bühne.
Videospiele und anspruchsvolle Literatur. Geht das echt zusammen? Durchaus. Die Nobelpreisträgerin für Literatur des Jahres 2018, Olga Tokarczuk aus Polen, veröffentlichte bereits 1998 eine Kurzgeschichte über das Kreieren ganzer Welten aus Bits und Bytes. „Deus Ex“ erschien auf Deutsch als Teil der Erzählsammlung „Der Schrank“. Darin verliert sich die männliche Hauptfigur in Aufbausimulationen, die er rund um die Uhr spielt. Als ihm die gängigen Spiele nicht mehr reichen, programmiert er sich selbst eines und erschafft darin ein ganzes Universum, welches er Tage später einfach wieder löscht. Momentan unterstützt Tokarczuk die Videospielumsetzung ihres Romans „Anna In: Eine Reise zu den Katakomben der Welt“ als Mitautorin. „Ibru“ ist für 2026 geplant und könnte in Sachen Erzähldramaturgie an das sehr gefeierte „Disco Elysium“ anknüpfen. Dieses Rollenspiel wurde vom estnischen Schriftsteller Robert Kurvitz entwickelt und begeisterte 2019 mit seiner durchdachten Story.
Einen Bestseller landete Gabrielle Zevin mit ihrem 2023 ins Deutsch übersetzten Roman „Morgen, morgen und wieder morgen“. Vom Time Magazine 2022 zum besten Buch des Jahres gewählt, wird darin die Geschichte zweier junger Programmierer erzählt, die durch „Super Mario“ zu Freunden werden und die in den 1990ern gemeinsam ein Spiel entwickeln.
Doch nach anfänglicher Euphorie droht ihre Freundschaft aufgrund der Belastung und interner Rivalitäten zu zerbrechen.
Der Deutsche Buchpreis 2023 ging an „Echtzeitalter“ des Österreichers Tonio Schachinger. Die Hauptfigur ist Schüler an einem strengen Internat in Wien und kompensiert seine negativen Erlebnisse mit Videospielen. Dabei entwickelt er sich in „Age of Empires II“ zu einem Top 10-Spieler der Weltrangliste. Der Roman ist voller Hinweise auf die Popkultur und stellt die altbacken und versnobt erscheinende Internatswelt in Kontext mit Sozialen Medien und besonders der Gaming-Szene. Auch Gewaltspiele wie „GTA“ kommen vor, die Auseinandersetzung damit erfolgt aber differenziert und sachbezogen. Deshalb wirkt dieser Coming of Age-Roman auch so zeitgemäß, was als Meilenstein für die Akzeptanz von Videospielen zu betrachten ist.
Mittlerweile wird der Konsum von Videospielen in Literatur und Film öfter als leidenschaftlich durchgeführtes Hobby und weniger als Problem an sich dargestellt, dem man zum Opfer fällt. Die Möglichkeit einer Sucht wird nicht verschwiegen, aber nun stehen auslösende Faktoren wie Einsamkeit im Vordergrund. Eine weitere Betrachtungsweise des Themas ist diejenige der Programmierer hinter den Spielen. Früher als realitätsfremde Nerds abgetan, erscheinen sie immer öfter als kreative Köpfe, die liebenswert und innovativ sind. Denkt man an das Schmuddelimage von Videospielen in den 1990ern und an die Killerspieldebatte der 2000er zurück, ist es kaum zu glauben, wie normal dieses Hobby mittlerweile ist und das sogar Nobelpreisträger und oscarnominierte Drehbuchautoren und Regisseure sich damit auseinandersetzen. Die Szene ist angekommen und wird hoffentlich auf Dauer auch Platz im Feuilleton und in Programmkinos einnehmen.
Quellen/ Literaturangaben
Romane/Texte
Tokarczuk, Olga: Deus Ex (Übersetzung nicht angegeben), in: Tokarczuk, Olga: Der Schrank, München/ Stuttgart 2000 (Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart München).
Schachinger, Tonio: Echtzeitalter (6. Auflage), Hamburg 2023 (Rowohlt).
Zevin, Gabrielle: Morgen, morgen und wieder morgen, Köln 2023, Bastei Lübbe.
Filme
Elle, 2016, Regie: Paul Verhoeven.
Indie Game: The Movie, 2012, Regie: James Swirsky und Lisanne Pajot.
Tár, 2022, Regie: Todd Field.
The King of Kong: A Fistful Of Quarters, 2007, Regie: Seth Gordon.
Tetris, 2023, Regie: Jon S. Baird.
Serien
Mythic Quest, seit 2020 (abzurufen auf Apple TV+).
Dead Pixels, 2019-2021, (Erstausstrahlung auf ZDF Neo).
Webartikel
Nelson, Alex: Dead Pixels: the new comedy from a Peep Show writer about an RPG video game, in: INews.co.uk, 2019, URL: https://inews.co.uk/culture/television/dead-pixels-comedy-peep-show-e4-rpg-video-game-269726 (abgerufen am 03.01.2024).
Investors, in: Sundog Games, URL: https://www.sundog.games/about-1-1 (abgerufen am 20.12.2023).
Mythic Quest. Ubisoft’s First Live-Action Comedy Series!, in: Ubisoft.com, URL: https://www.ubisoft.com/en-us/entertainment/film-tv/mythic-quest (abgerufen am 03.01.2024).