Margit Mössmers neuer Roman – Buchempfehlung

Rezension von Maja Seiffermann

Margit Mössmer: Das Geheimnis meines Erfolgs, Leykam, 2023, ISBN: 978-3-7011-8268-8, 285 Seiten, 24,50 € (D)

In der Ausweglosigkeit gibt es für Menschen und Tiere ein paar Möglichkeiten zu reagieren. Man kann sich verstecken, davonrennen, sich totstellen oder kämpfen. Ihre Kampfbereitschaft hatte Nina schon bewiesen. Sie hatte wie eine Löwin für mich gekämpft. Wobei dieses Bild etwas Heroisches, fast Freudiges hat. Eine Löwin kämpft mit guten Chancen zu gewinnen.

Um Ninas Kämpfen zu beschreiben, sollte man ein anderes Tier hernehmen, eine Stockente zum Beispiel. Nina kämpfte wie eine Stockente für mich. Das heißt, ihr Baby war ihr ebenso wichtig wie der Löwenmutter ihres, doch sie fand das Kämpfen gar nicht lustig und niemand bezeichnete es als heldenhaft oder sonst wie außergewöhnlich.

Alex wurde in diese Welt hineingeboren und konnte sich diese, – wie all die anderen Kinder auch – nicht aussuchen.

Anders als Gleichaltrige aber, ist Alex nur kurz Kind und interessiert sich nicht lange für „Babyfilme“, andere Kinder oder Spielen. Durch ihre starken Gefühle sowie ihre individuelle Denkweise wird sie oft nicht verstanden. Auch von ihrer eigenen Mutter nicht. Und das, obwohl Nina alles tun würde, um den Bedürfnissen ihrer Tochter gerecht zu werden.

Die immense Wucht und gleichzeitige Leichtigkeit, mit der Margit Mössmer uns durch Alex Kindheit führt, ist absolut beeindruckend; Es geht um scheinbar banale Alltagssituationen, die man in den meisten anderen Büchern und Kontexten als langweilig wahrnehmen würde. Die Welt durch Alex Augen zu sehen, ist aber wie eine neue Perspektive auf die Realität und die Gesellschaft zu bekommen.

Daher ist auch Leykams folgender Kommentar zum Roman so treffend: „Eine bisher ungelesene Perspektive auf Mutterschaft, Neurodiversität und Aufwachsen im Prekariat.“

Bereits der Anfang ist so packend, dass man das Buch kaum noch weglegen möchte. Die kurzen Kapitel machen das Lesen sehr einfach. Manche Kapiteltitel wiederholen sich, beinhalten aber durch Alex Entwicklung im späteren Verlauf eine andere Wendung.

Ganze Seiten an Alex mentalen Produkten zu lesen oder den Verlauf desselben Gedankens über eine ganze Seite, machen das Buch wirklich genial. Die sich durchziehende Hilflosigkeit Ninas sowie die Selbstverständlichkeit von Alex Gedanken veranlasst nicht nur zum Mitfiebern, sondern auch zum Hinterfragen, was wir als Gesellschaft eigentlich als normal ansehen;

Mössmers Roman ist ein Anstoß darüber nachzudenken, dass andere Menschen vielleicht keine Sicherheit in den als so normal hingenommenen Strukturen und Aktivitäten finden. Es ist interessant und gleichzeitig auch verstörend zu sehen, dass unsere Gesellschaft nicht auf Kinder ausgelegt ist, die wie Alex sind. Alex steht nur solange im Mittelpunkt, wie sie eine Gefahr oder eine Störung für andere ist. Dass sie sich irgendwann eher unfreiwillig integriert und nicht mehr auffällt, freut alle. Wie es ihr damit geht, steht nicht zur Frage.

Dieser Ausschnitt zeigt Alex deutliche Verknüpfung von Kindheit, dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Akzeptanz sowie ihren ganz speziellen Interessen, für die sich kaum andere Kinder interessieren.

Findet Nemo war der erfolgreichste Trickfilm aller Zeiten. Und warum? Weil jeder Mensch (…) Nemo sympathisch findet. Und warum? Weil er so niedlich aussieht, mit seinen großen Kulleraugen. In Wirklichkeit sind die Augen des Clownfisches aber orange. Die Leute bei Pixar haben Nemo einfach eine weiße Lederhaut um die Iris gezeichnet, damit er menschlicher und damit weniger unheimlich aussieht. Ich brauchte also eine Übermalung, die mich aussehen ließ, als wäre ich wie die anderen. Etwas, das ihnen Sicherheit gab, weil sie es bereits von sich selbst kannten.

Oder auch in diesem Zitat schlussfolgert Alex anders als es wohl die Mehrheit der Menschen geschweige denn Kinder tun würden:

Er legte für einen kurzen Moment seine Hand auf meinen Unterarm. Sie war angenehm kühl. Von da an wusste ich, der Tod musste etwas Kaltes sein. Das überraschte mich nicht. Viele Dinge waren angenehm kalt.

Dieses Buch hat mich sehr berührt, zum Nachdenken inspiriert und viele neue Perspektiven auf das sonst so als selbstverständlich Angenommene geschenkt.

Es wäre grandios, wenn Margit Mössmer einen zweiten Teil über Alex im Erwachsenenalter schreiben würde…

 

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