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Flöhe

von Dietmar Füssel

Es war an einem Mittwoch im Juni, als ich bemerkte, dass ich Flöhe hatte. Genau genommen hatte ich sie sogar schon einige Tage länger, doch hatte ich anfangs die roten, juckenden Punkte auf meiner Haut für die Stiche von Insekten gehalten, die bei Nacht durch mein geöffnetes Schlafzimmerfester eingedrungen waren, um sich an meinem Blut gütlich zu tun. Als ich aber an jenem Mittwoch auf der Toilette saß, bemerkte ich, dass ein kleines Tierchen von meinem nackten linken Oberschenkel auf meinen ebenso nackten rechten Oberschenkel sprang, und damit war natürlich alles klar.

Um meine unerwünschten Gäste wieder loszuwerden, besorgte ich mir in der nächsten Tierhandlung ein Flohhalsband, das aber leider wirkungslos blieb. Der Grund dafür war, wie ich auf meine Beschwerde hin erfuhr, dass Flohhalsbänder nur gegen Katzen- und Hundeflöhe helfen, nicht hingegen bei Menschenflöhen.
Daher begab ich mich in die nächste beste Apotheke und sagte: „Ich hätte gerne ein wirksames Mittel gegen Menschenflöhe.“
„Haben Sie etwa Flöhe?“, fragte die pharmazeutische Assistentin, die mich bediente, wobei sie missbilligend die Stirn runzelte.
„Ja, leider“, gab ich zu. „Hätten Sie da vielleicht…“
„Machen Sie sofort, dass Sie rauskommen, bevor Ihre Flöhe womöglich noch auf andere Kunden überspringen“, befahl sie.
„Entschuldigen Sie, es ist mir ja selbst unangenehm, aber was kann ich denn gegen meine Flöhe machen?“
„Am besten, Sie nehmen endlich mal wieder ein gründliches Bad“, sagte sie. „Das haben Sie nämlich offenbar schon seit Jahren nicht mehr gemacht. Ihr Gestank ist ja unerträglich! Und bevor Sie in die Wanne steigen, stecken Sie die gesamte Kleidung, die Sie angehabt haben, in die Waschmaschine. Dann sind Sie Ihr Flohproblem los.“ Ich bedankte mich höflich für den guten Rat und verließ die Apotheke.

Rein theoretisch war es also gar nicht einmal so schwierig, meine Flöhe loszuwerden, doch unglücklicherweise besaß ich keine Badewanne, und die Duschkabine, die ich mir zugelegt hatte, als ich meine Wohnung bezog, war nach wie vor an keine Wasserleitung angeschlossen, weil ich eine unüberwindbare Abneigung gegen Installateure hatte. Natürlich hätte ich einen Freund darum ersuchen können, bei ihm baden zu dürfen, aber dann hätte ich ihm auch den Grund dafür verraten müssen, was womöglich unsere Freundschaft schlagartig beendet hätte, und wenn ich mein altes Mütterlein darum gebeten hätte, so hätte sie sich meiner geschämt und mich für ein Schwein gehalten.

Der einzige Ausweg wäre also der gewesen, das nächste Hallenbad aufzusuchen, doch ich befürchtete, dass der Bademeister mir lebenslanges Hausverbot erteilen würde, wenn er bemerkte, dass ich es war, der sein schönes, sauberes Schwimmbecken mit unzähligen Flohleichen verunreinigt hatte, und diese Schande hätte ich nicht überlebt, weil mir aus unerfindlichen Gründen am Urteil von Bademeistern mehr lag als an jenem von Nobelpreisträgern.
Nun war guter Rat teuer. Möglicherweise hätte ich mich sogar über kurz oder lang mit meinen Flöhen abgefunden, weil der Mensch sich bekanntlich an alles gewöhnt, hätte ich nicht rein zufällig kurz darauf eine Dokumentation über den österreichischen Strafvollzug gesehen, aus der hervorging, dass verurteilte Straftäter bei ihrer Einlieferung in die Strafvollzugsanstalt zunächst gründlich entlaust und entfloht werden. Und damit wusste ich natürlich, was ich zu tun hatte.

An einem Donnerstag im Oktober wurde ich wegen der bestialischen Ermordung eines Installateurs zu einer zwanzigjährigen Haftstrafe verurteilt. Wie mein Verteidiger mir verriet, komme ich bei guter Führung aber sogar schon nach vierzehn Jahren wieder raus.
Und zwar ganz und gar ohne Flöhe.

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