Cogito ergo sum oder Gedanken zu Durs Grünbeins „Vom Schnee“

Ein Denker ist’s, der in fremdem Land sich barg,
An kleinem Ort inmitten eines großen Reichs.
Ein Dichter ist’s, der dies Geschehn in strenge Form
Gebannt. Harte kalte Zeit, die er beschrieb, denn karg
War’s Leben in dem Krieg, der keinem andern gleich
Das Sein verbog und die Moral zur Schlächternorm,
Zu Totschlag, Raub und Massakriern. Rossgetöse
Schneegedämpft, das Quietschen, ungehört’s Marschiern
Der Soldateska. Wie Tuch weiß Leichen und’s Gekröse
Sanft verhüllte. Und nur ganz leise stöhnte das Krepiern.

In jener Zeit, der Philosoph Descartes, er war’s,
Der in dem Schnee und in dem Blut das Brechen
Nicht des Aug’s nur sah, er sah’s Gesetz des Lichts:
Auf weißem Grund ein Regenbogen in Kristallen. Klar
Sah er’s, alles Menschsein im Extrem. Auch’s Stechen
Des Sonnstrahls im Aug, so wie’s Licht zerbricht
Im Glas der Butzenscheiben. Der Dichter schrieb’s
Und fasst’s in Cantos, zweiundvierzig an der Zahl:
So fein, gebildet, ziseliert. Der Schnee zerstiebt,
Und Winde fegten drüber, verwehten jener Zeiten Qual.

Und sieben Strophen, zart gefügt und komponiert,
Sie spannten Schauen, Bogen, Dramen und Erlebnis.
Sie führten Denker, Diener, Königin und Schnee:
In Versen zehn die Zeit, das Leben transskribiert.
Der Schnee, das Licht, Erkenntnis ist Ergebnis
Des eleganten Werks. Dass es ihn im Fokus seh,
Den Kern, den Sinn des Seins, das will man hoffen.
Mehr noch: Dass es viel gelesen sei und anerkannt,
Weil es Kunst, Licht, Leben wie den Schnee getroffen,
Übersetzt in Lied und Wort hat das, was er verstand.

Durs Grünbein, Vom Schnee oder Descartes in Deutschland, Frankfurt am Main 2003, Suhrkamp-Verlag, ISBN 3-518-41455-0

Metzingen / Weltweitweb, den 16.04.2004

Walther

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