Anita Augustin über die Ähnlichkeiten zwischen Zackenbarsch und Mensch – herzliche Leseempfehlung

Rezension von Maja Seiffermann

Anita Augustin: Wie ähnlich ist uns der Zackenbarsch, dieses äußerst hässliche Tier, Leykam Buchverlag, 2023, ISBN: 978-3-7011-8269-5, 316 Seiten, 24,50 € (D)

 

Worum geht es und wer sind die Protagonist*innen?

Den Inhalt dieses Meisterinwerkes wiederzugeben, ohne viel zu spoilern, ist definitiv eine Herausforderung!

Aber sagen wir so: Nachdem die elfjährige Elli spurlos verschwindet und die Polizei aufgibt, fahndet Cornelia Karl auch 13 Jahre später eigenständig nach ihrer Tochter. Dabei geht sie so weit, sogar eine Affäre mit dem einzigen Sextherapeuten in ihrer Stadt zu beginnen, der sich der Therapie von Pädophilen annimmt.

Nach und nach entführt uns Anita Augustin in eine Welt unterschiedlicher Menschen mit eigenen Macken und Problemchen.

Erzählt wird aus mehreren Perspektiven, die jeweils von einem ganz eigenen Schreibstil leben. Die Autorin wechselt zwischen einem netten, leichten, aber keineswegs primitiven Erzählstil zu Leopolds eher gehobenem und dennoch gut verständlichem Stil.

Einen weiteren Protagonisten lernen wir vorrangig aus den Steckbriefen seines Therapeuten oder seinem akribisch geführten Tagebuch kennen, in dem er Umgangssprache, halbe Sätze sowie sein Wissen über ungewöhnliche Themen kombiniert:

19:34:38

Mache mich in 22 Sekunden auf den Weg. 5 Minuten Gehzeit + 15 Minuten Puffer für den Fall, ein unvorhergesehenes Ereignis tritt ein und muss überwunden werden, z.B. Ampel auf Dauerrot oder Krampf im Bein oder Ziegel vom Dach oder Zeus schleudert Blitze oder ähnliches. Was auch immer geschieht, ich werde es schaffen.

Ich bin Komparse beim Film, Spezialgebiet Sterben. Ich bin der Mann, der ganz hinten im Bild röchelnd zusammenbricht. Ich bin der Mann, der für zwei Sekunden auf dem Seziertisch zu sehen ist. Nebenschauplatz.

Nebenleiche.

Wen interessiert das schon?

 

Habe nie prächtige Burgen gebaut, immer nur Löcher gegraben, und wenn das Loch tief genug war, irgendein Ding darin versenkt, z.B. einen Stein oder ein Stück Holz. Der Gedanke dabei war: Dieser Stein, dieses Holz ist mein Herz. Dann Sand drübergeschaufelt und Ohr gegen die Stelle gepresst, wo mein Herz vergraben. Dann gelauscht. Alles still.

 Trotz des mehrperspektivischen Erzählstils und des Zeitsprungs von 13 Jahren ist die Handlung aber keineswegs verwirrend; die Reihenfolge der erzählenden Personen ist sehr sinnvoll gewählt und lässt den Leser*innen eine Menge Freiraum für Ausgangsspekulationen und Interpretationen.

 

Kritik

Das Layout dient trotz der vielen Dialoge, von denen der Roman regelrecht lebt, einem guten Verständnis und Überblick.

Die Worte der Autorin geben einem regelrecht das Gefühl, mitten im Geschehen, im Gespräch zu sein, etwas beitragen zu wollen oder müssen. Auch der Einwurf kleiner, im Alltag nicht oft gehörter Worte macht das Buch besonders. Durch das bewusste Weglassen mancher Angaben oder das abrupte Abbrechen von Gedanken bekommt man das Gefühl, ein richtiger Insider zu sein.

Das pink auffällige Buch ist jedoch nicht Augustins erster Roman, der irgendwie schrill, frech und gesellschaftskritisch gesehen werden kann.

Auch dieses Buch wirft Fragen auf, die man sich nicht oft stellt; Sind pädophile Menschen Teil der Gesellschaft? Wie sollten wir solchen Menschen begegnen? Wie lässt uns das Interagieren mit anderen oder Andersartigen auf uns selbst blicken? Wie weit darf und soll eine Mutter gehen? Etc.

Dank des Einblicks in die Köpfe aller Beteiligten eliminiert man bloß schwarz oder weiß, ist nicht ausschließlich für ja und nein und empfindet vielleicht sogar Emotionen, die man für bestimmte Gruppen so noch nicht hatte.

 

Abschließende Worte

Insbesondere der eher experimentell angelegte Epilog verführt mich zu meiner abschließenden Meinung über Augustins Werk:

Die knallharte Ehrlichkeit kombiniert mit Anita Augustins literarischer Raffiniertheit und einem Fünkchen Phantasie öffnet einem die Augen, schließt sie und öffnet sie erneut. Definitiv lesenswert!

Was der Zackenbarsch nun mit dem Buch zutun hat, muss jede*r selbst herausfinden. 😉

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