Metaphern meines Lebens

Metaphern meines Lebens

von Maria Röhreich

Meine Gedanken kreisen umeinander wie ein Schwarm aufgeschreckter Vögel: Flatternde Kolibris für die brennende Verliebtheit. Schwarze Raben für alle Ängste und Zweifel. Streitende Spatzen für lauter ungeordnete Ideen. Schnatternde Wildgänse für den Stress. Und bunte Papageien für all das Durcheinander. Sie zwitschern, kreischen, schnattern und stören sich gegenseitig. Die Raben hacken nach den Kolibris, die Gänse verscheuchen die Spatzen und die Papageien ahmen ihre ärgerlichen Laute nach. Wenn die Vögel streiten, verlieren sie Federn in allen Farben des Denkens, die den Himmel zwischen ihren Flügeln verschwimmen lassen, bevor sie langsam zu Boden taumeln.
Sie blicken in ihrem Flug auf eine Welt hinab, die sie nicht verstehen. Die Straßen meines Lebens sind einmal zerbrochen worden und neu verbunden. Lange Zeit war ich gefallen, gestolpert, habe gesucht und gefragt, ohne den neuen Weg zu finden. Die Welt um mich herum drehte sich schneller und schneller – und gerade, als ich zum ersten Mal das Gefühl hatte, ihr folgen zu können, änderte sie die Richtung. So stehe ich nun, verwirrt und meiner Illusionen beraubt.

Ich habe nichts im Griff. Ich habe keine Pläne. Und ich bin nicht so bereit, wie ich dachte. Was hell war, ist jetzt dunkel, und die Nacht ist jetzt der Tag. Und die Zukunft, die gerade noch in weiter Ferne lag, steht plötzlich vor mir. Sie sieht beängstigend aus, wie ein namenloses Monster mit tückischen Krallen. Sie lächelt mich an, doch es ist ein falsches Lächeln, und es wirkt nicht ansatzweise echt. Eintausend Schilder beschriften die Körperteile des Monsters, doch auf keinem steht sein Name. Ich sollte wissen, wie ich mich diesem mystischen Wesen stellen könnte, das müsste ich wirklich. Ich hatte lang genug Zeit, mich darauf vorzubereiten.
Oder etwa nicht? Hat die Zeit einen Sprung gemacht? Hat sie sich umgekehrt, so wie alles in meinem Leben? Sie ist früher langsam vergangen, eine Sekunde nach der anderen, Minute für Minute. Jetzt tickt die Uhr Tage.

Nun, was auch immer die Zeit getan hat, jetzt steht die Zukunft vor mir. Ich muss mich auf sie konzentrieren! Doch die Gegenwart steht neben mir, sie plappert unaufhörlich und raubt mir jede Konzentration. Ihre Stimme mischt sich mit dem Nerv tötenden Gezwitscher der Vögel. Wie soll man bei dem Lärm seinen Weg fortsetzten?
Doch Stehenbleiben ist auch unmöglich. Uhren drehen unerbittlich ihre Zeiger, Kalender blättern sich gnadenlos um. Die Zeit treibt mich rücksichtslos voran, auf das Monster zu, was höhnisch lacht. Es ist, als säße ich in einem Auto ohne Bremsen, das in vollem Tempo auf eine Wand aus Fristen und Terminen zurast. Ein paar steinige Splitter liegen bereits hinter mir. Ich warte auf den Aufprall. Den großen Knall. Vielleicht habe ich ihn bereits überhört unter dem Lärm der Gedanken-Vögel?

Ein Rabe landet auf meiner Schulter.
„Du hast versagt“, krächzt er und lacht.
Er schlägt mir mit dem Flügel ins Gesicht, als er davonfliegt. Er hat Recht. So viele Möglichkeiten waren mir geboten worden: Berufsberatungen, Praktika und Gespräche. Und ich hatte Zeit bekommen, für noch mehr Beratungen, Praktika und Gespräche. Doch ich hatte die Gelegenheiten verstreichen lassen, unentschlossen, welche ich ergreifen sollte.
Praktikum in einem Betrieb meiner Wahl? Vorbei. Schnuppertage an einer Kunsthochschule? Vorbei. Tag der offenen Tür an der Uni? Vorbei.
So viele Fristen waren zu schnell abgelaufen, zu schnell für die flatternden Gedanken in meinem Kopf, die sich lieber gegenseitig die Schnäbel blutig hackten, statt Entscheidungen zu treffen. Mistige Vögel. Und nun steht die endgültige Frist bevor, die absolute Deadline: Die Zukunft höchstpersönlich.
Mit aller Kraft versuche ich, die Vögel dazu zu zwingen, sich auf diese Aufgabe zu konzentrieren: eine Entscheidung für die Zukunft. Ich muss doch gut verdienen können! Ich kann nicht irgendwas machen, ich brauche etwas Gutes. Ich muss die Welt sehen. Ich muss etwas finden, das mir Spaß macht. Was auch immer ich tue, es muss alle Anforderungen erfüllen. Die Vögel müssen sich zusammenreißen. Jetzt!
Doch dann tippt mir die Gegenwart auf die Schulter und sieht mich entschuldigend an.
„Du musst lernen. Nächste Woche ist die Seminarfacharbeit fällig. Oh, und einen Vortrag musst du auch noch halten.“
Sie erzählt noch viel mehr, doch ich höre nicht zu. Seufzend teile ich den Vögeln ihre Aufgaben zu. Ein paar beschäftigen sich mit der Zeitplanung, ein paar mit Hausaufgaben, Prüfungsvorbereitung und einige mit dem Fertigstellen der Arbeit. Nur wenige sind übrig, die ich auf das Zukunftsproblem ansetze.
Das Monster kommt näher! Und zwar in beängstigender Geschwindigkeit. Doch die Vögel hören nicht auf, sich zu streiten, nur, weil sie nun konkrete Befehle haben. Die ersten sind die Kolibris. Sie tanzen aus der Reihe, flattern wild umher und picken sich nun auch noch gegenseitig. Diese ungehorsamen Biester! Am liebsten hätte ich sie aus meinem Kopf geworfen. Zwitschernd und schimpfend fliegen sie wild zwischen den anderen hindurch, ohne auf den Ernst der Lage zu achten.
Ich finde, in diesem Stress könnte sich auch die Liebe an Termine halten! Natürlich tut sie es nicht, und so bringen die Kolibris alle anderen Vögel aus der Konzentration. Das provoziert die ohnehin schon gefährlichen Raben. Mit unbändigem Zorn schlagen sie nach den kleinen roten Vögeln und fegen sie kurz vom Himmel. Leider haben sie Gefallen daran gefunden und attackieren mit ihren nach Zweifel stinkenden Flügeln auch die restlichen Gedanken – das Chaos bricht von neuem los.

Es ist unmöglich, den Schwarm zu beruhigen, und ich bin müde, als ich den Versuch endlich aufgebe. Hoffnungslos richte ich den Blick auf die Zukunft. Das Monster sieht mich, sieht die aufgebrachten Vögel und lacht. Es zeigt mir seine Klauen aus Arbeitslosigkeit, die scharfen Zähne des Versagens und präsentiert seine Stacheln der Unentschlossenheit. Über mir spüre ich, wie die Raben sich vermehren. Es werden so viele… Schwarze Federn dominieren den Himmel, sie schüchtern die anderen Vögel ein als wären sie die Herrscher über ihr kleines Leben.
Vielleicht könnte ich die Raben dazu nutzen, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Ich könnte durch ihren Druck die anderen Vögel disziplinieren. Sie könnten meine Verbündeten sein, auch wenn ich sie nicht mag. Es könnte funktionieren – wenn die Kolibris nicht wären. Sie flattern unbeirrt zwischen großen schwarzen Körpern hindurch und stören alles andere. Auch sie fürchten sich vor den Raben, doch auf eine andere Weise. Sie sind so rot wie Blut und Rosen und ziehen meine Aufmerksamkeit immer wieder auf sich. Ich kann sie nicht ignorieren.
In einem Anflug von Panik schließe ich die Augen und sinke zu Boden. In meinem Kopf spüre ich die vielen Raben, die Kolibris und ein schreckliches Gefühl des Versagens. Und Angst vor dem, was vor mir steht. Ich will mich so klein wie möglich machen, damit das Monster mich übersieht. Doch es hat mich bereits gefunden.

Es gibt kein Entkommen vor der Zukunft.

One thought on “Metaphern meines Lebens

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert