Die Anmeldung

Die Anmeldung

von Susanne Mathies

„Würden Sie bitte noch die Angaben in unserem Formular vervollständigen?“
Konrad stutzte. Er hatte alle Felder auf dem Blatt ausgefüllt, die er für sinnvoll hielt.
„Was fehlt denn noch?“ fragte er.
Zu Hilfspersonal musste man immer freundlich sein, das hatte er gelernt, die konnten einem sonst auf ganz hinterhältige Art das Leben schwermachen.
Die Sprechstundenhilfe deutete mit dem Zeigefinger auf das Blatt. Ein rosa Krallenfingernagel, mit Sternchen beklebt, tippte auf das Feld „Zur Zeit eingenommenes Therapeutikum gegen die Ausfallserscheinungen“.
Er lachte erleichtert. Es war nur ein Missverständnis, das sich aufklären ließ.
„Ich habe keine Ausfallserscheinungen,“ sagte er. „Die Frage trifft auf mich nicht zu.“
„Wenn das Formular nicht vollständig ausgefüllt ist, können wir es nicht bearbeiten.“
„Geben Sie her.“

Er nahm es ihr aus der Hand, schrieb schnell in das leere Feld „nicht zutreffend“ und reichte ihr das Blatt zurück. Sein linker Arm schmerzte, und das weiße Taschentuch, das er um sein Handgelenk gebunden hatte, war schon dunkelrot verfärbt. Braunrot an den Rändern des Fleckens, so wie die Schrift in Opas Tagebuch, karmesinrot nahe der Peripherie und gelb-rot in der Mitte. Verdammt noch mal, er war in die Notaufnahme gekommen, um verarztet zu werden, nicht um Formulare auszufüllen.
Die Sprechstundenhilfe runzelte die Stirn und starrte auf das Papier. Sie schien nachzudenken. Natürlich, sie ist blond, dachte Konrad, das kann dauern. Allerdings sah das Blond nicht echt aus.

Am Tresen nebenan polterte etwas. Einem weißhaarigen Mann im grünen Velour-Schlafrock war der Krückstock aus der Hand gefallen. Konrad bückte sich und hob den Stock auf.
Der Mann nahm den Stock entgegen und blaffte Konrad an: „Warum so hilfsbereit? Sie hoffen wohl, ich werde Ihnen was vererben? Von mir kriegt keiner was, lassen Sie sich das gesagt sein. Da können meine Enkel Bettelbriefe senden, bis sie schwarz werden!“
Solche Dinge sagte Opa auch immer, danach spuckte er auf den Teppich, aber nur, wenn Oma hinsah. Im Umgang mit den Alten musste man phantasievoll sein, Ablenkung war alles, Widerspruch dagegen zwecklos.

„Ich glaube, diese Dame hat Interesse an Ihnen“, sagte Konrad, deutete auf die Sprechstundenhilfe und zwinkerte dem Weißhaarigen zu. Er freute sich darauf, diesem Prototyp aller Blondinenwitze Probleme zu bereiten.
„Die guckt mich an? Warum denn das? Ich gehe immer im Morgenmantel auf die Straße, das ist ganz normal, da braucht niemand blöd zu gucken. Finden Sie das etwa komisch?“
„Nein, ich gehe auch immer im Morgenmantel auf die Straße.“

Konrad wandte sich wieder der Sprechstundenhilfe zu. Sie studierte noch das von ihm ausgefüllte Formular, wobei ihre pinkfarbenen Lippen leicht offenstanden. Dann verzog sich ihr Mund so stark nach unten, dass in der rosa Bemalung Risse entstanden.
„Hier haben Sie die halbe Seite nicht ausgefüllt!“ sagte sie anklagend und gab ihm das Blatt zurück.
Konrad zwinkerte. Tatsächlich standen auf der unteren Hälfte viele leere Kästchen, die ihm vorher nicht aufgefallen waren. Die erste Frage lautete: „Bis zu welchem Alter waren Sie Bettnässer? Wenn das Problem heute noch besteht, fahren Sie bitte bei Frage 17 B fort.“
Der Schmerz in seinem Arm flammte auf, als er das Papier mit beiden Händen zerknüllte.

„Was tun Sie denn da, geben Sie das her, das ist ein offizielles Dokument!“
Die Blonde griff nach dem Blatt, blieb mit einem Fingernagel in Konrads blutdurchtränktem Taschentuch hängen, schrie auf, riss beim Zurückweichen das Tuch von Konrads Arm. Es baumelte einen Moment lang an dem gebogenen Nagel, dann klatschte es auf die weiße Kittelbrust und rutschte mit einer rötlichen Schmierspur nach unten.
„Sicherheitsdienst! Schnell, ich werde angegriffen!“ rief die Sprechstundenhilfe.

Von hinten näherten sich Schritte und Stimmen. Konrad sah das Blut aus seinem Handgelenk quellen und auf den Tresen laufen. Nur noch undeutlich nahm er wahr, wie jemand sagte: „Er geht auch immer im Morgenmantel auf die Straße.“

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