Mara Laue: Von der Idee zum fertigen Text VSS Verlag

Von der Kunst des Prosaschreibens – 16. Show, don’t tell! – Gefühle III Liebe

Show, don’t tell: Gefühle beschreiben 3: Liebe

von Mara Laue

Verglichen mit Hass und Angst ist es beinahe kinderleicht, Liebe zu beschreiben. Sollte man meinen. Jedoch hat auch das Beschreiben dieses Gefühls seine Tücken, wenn wir die Liebe wirklich zeigen und nicht nur platt als „Er liebte sie/Sie liebte ihn“ (nach)erzählen wollen. Aber auch hier gilt: In Kurzgeschichten kann man solche „Erzählungen“ durchaus verwenden, wenn sie zur Geschichte passen. In Romanen, nicht nur in ausgesprochenen Liebesromanen, sollten wir sie zeigen.
Gerade beim Beschreiben von Liebe ist wichtig, für die Schilderungen nicht in die Klischeefalle zu tappen, und zwar sowohl innerhalb wie außerhalb der wörtlichen Rede. „Du bist mein Ein und Alles.“ „Ich liebe dich für immer und ewig.“ All dies sind Formulierungen, die schon allzu oft gebraucht wurden. Außerdem sagen diese Formulierungen nichts über den Gefühlszustand der jeweiligen Figur aus, darüber, wie sich diese Liebe real anfühlt oder was sie mit der sie empfindenden Person „tut“.
Für die Liebe haben wir unzählige Möglichkeiten, um sie zu zeigen. Der Held deckt den Frühstückstisch, während die Angebetete noch schläft, arrangiert alles mit ihren Lieblingsspeisen, stellt ihr ihre Lieblingstasse hin (oder seine schönste, die normalerweise niemand außer ihm anrühren darf) und eine duftende rote Rose in einer Vase an ihren Platz. (Rot als Farbe der Liebe, und die Rose gilt in Rot oder Rosa als DIE Blume der Liebe schlechthin.) Wenn er das nicht nur am Anfang der Beziehung tut, sondern immer wieder und sich auch immer wieder etwas Neues einfallen lässt, um „ihr“ eine Freude zu machen, zeigt das deutlicher als „Er liebte sie“, dass und wie sehr er das tut.
Geht es um das akute Empfinden von Liebe, die jemanden in diesem Moment ereilt oder in einer besonderen Situation spürbar wird, ist „Wortakrobatik“ gefragt, um dieses schönste aller Gefühle nicht „platt“ = wenig aussagekräftig oder, noch schlimmer, banal rüberzubringen. „Die Liebe sprang ihn aus heiterem Himmel an“, „Sie liebte ihn mehr als ihr Leben“, „Er liebte sie so sehr, dass es schmerzte“ – bitte nicht! Den Grund für dieses „No Go“: Diese Sätze beschreiben nichts; gar nichts. Außerdem sind sie schon allzu oft verwendet worden. (Nebenbei: Der Verzicht auf solche „Gemeinplätze“ ist eines der Kriterien, das Texte später positiv aus den bei Verlagen eingesandten Manuskripten herausheben wird.)
Nun aber in medias res: Beschreiben wir Liebe.

  1. Liebe auf den ersten Blick

Tom hatte den Griff der Tür umfasst, als er ihm schon aus der Hand gerissen wurde, weil von draußen jemand allzu hastig herein wollte. Im nächsten Moment prallte eine Frau gegen ihn.
„Hey!“, protestierte er.
„Tschuldigung, ich hab’s eilig.“
Sie versuchte sich an ihm vorbeizudrängen. Da sie aber beide mehr oder weniger in der Tür standen, wurde daraus ein Gerangel, welches darin gipfelte, dass die Frau nach vorn stolperte, als Tom zur Seite trat. Er fing sie auf, bevor sie stürzen konnte.
„Tschuldigung“, wiederholte sie und lächelte ihn an.
Er blickte in ihre Augen, blau wie das Meer an einem Sommertag, in denen die Sonne zu strahlen schien, obwohl es draußen regnete. Wärme breitete sich in ihm aus und er hatte das irrationale Gefühl nach Hause zu kommen. Fühlte sich dieser Fremden verbunden, als würde er sie schon ewig kennen.
„Würden Sie mich freundlicherweise loslassen? Ich glaube, ich stehe dank Ihrer Hilfe wieder stabil.“
Erst in diesem Moment merkte er, dass er sie immer noch festhielt. Er ließ sie los und räusperte sich, denn sein Hals schien auf einmal zu eng zu sein, um ein Wort rauszubringen. Das ist sie!, sagte – nein, brüllte eine Stimme in ihm. Die Frau, auf die du dein Leben lang gewartet hast. Konnte nicht sein, denn diese zufällige Begegnung hatte ihm ganz sicher nicht die Liebe seines Lebens beschert; mal abgesehen davon, dass dazu immer zwei gehörten und eine spontane Sympathie nichts mit Liebe zu tun hatte. Aber das Gefühl der Verbundenheit mit dieser Frau widersprach ganz entschieden dem Argument seines Verstandes.
Die Frau sah ihn eine Weile staunend an, ehe sie ihren Weg eilig fortsetzte. Tom sah ihr nach und fühlte eine zunehmende Kälte, je weiter sie sich entfernte. Ganz sicher war das eine Schnapsidee und würde zu nichts führen, aber er wusste, dass er es sein Leben lang bereuen würde, wenn er sie einfach so gehen ließe. Er machte einen Schritt auf sie zu, als sie sich umdrehte und ihn wieder mit diesem staunenden Blick ansah. Hastig kramte sie etwas aus ihrer Handtasche, kam zu ihm zurück und reichte ihm eine Visitenkarte.
„Ruf mich an“, flüsterte sie und rannte davon.
Tom lächelte und setzte seinen Weg beschwingt und fröhlich fort.

Hier hat es ohne jeden Zweifel bei beiden „Zoom gemacht“. Zumindest Tom, aus dessen Perspektive diese Szene geschildert wird, empfindet beim Anblick der Frau keine sexuelle Regung, keine Lust, will nicht mit ihr sofort ins Bett oder in die nächste Besenkammer. Er hat das Gefühl „nach Hause zu kommen“ und ihm wird innerlich warm. Die Frau hat offenbar ähnliche Empfindungen, andernfalls sie ihn nicht zweimal „staunend“ ansehen würde, denn er ist garantiert nicht der erste (gutaussehende, interessante?) Mann, dem sie begegnet. Ob diese spontane Zuneigung auf den buchstäblich ersten Blick zu einer dauerhaften Liebe wird, würde uns der Rest der Geschichte/des Romans erzählen.

  1. Liebe eines langjährigen Paares

Henry sah zur Uhr. Falls sie nicht aufgehalten worden war, musste Laila in fünf Minuten nach Hause kommen. Er vergewisserte sich, dass er alles so arrangiert hatte, wie sie es liebte: brennende Kerzen auf dem Tisch, eine kleine Sonnenblume in der Vase neben ihrem Platz, ihr Lieblingswein und das Weinglas, das aussah wie das lachende Gesicht einer Fee. Auf ihren Teller hatte er das Päckchen gelegt und fühlte sich schon jetzt glücklich bei dem Gedanken daran, wie glücklich Laila sein würde, wenn sie es auspackte.
Er schaltete die Musikanlage ein, die ihre Lieblingsmusik spielte, holte den Schmortopf aus der Küche und stellte ihn auf die Wärmeplatte. Wie aufs Stichwort hörte er die Haustür klappen und Lailas fröhliche Stimme sang: „Henry, ich bin da-haaa!“
Er ging ihr entgegen, half ihr aus dem Mantel und hängte ihn an die Garderobe. Sie umarmte ihn und strahlte ihn an.
Er strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. „Willkommen zu Hause, meine Wunderbare. Wie war dein Tag?“
Sie lächelte. „So öde, dass ich die ganze Zeit den Feierabend herbeigesehnt habe und mich darauf gefreut habe, dass wir es uns gleich gemütlich machen.“ Sie schnupperte in der Luft. „Rieche ich Schmorbraten? Hast du etwa Schmorbraten gemacht?“
Er nickte. Sie gab ihm einen tiefen Kuss, der ihm süß wie Nektar schmeckte. Er drückte sie an sich, atmete den Duft ihrer Haut ein, an dem noch ein Hauch von Jasminparfüm haftete und genoss das Gefühl, sie zu halten, ihre Wärme und den Schlag ihres Herzens an seiner Brust zu spüren.
Sie löste sich spürbar widerstrebend von ihm. „Ich zieh mich nur schnell um, dann bin ich sofort bei dir!“ Sie sprintete ins Schlafzimmer.
Henry ging ins Wohnzimmer zurück und wartete auf sie. Fühlte erneut Vorfreude und spürte das gleiche Glück, das er empfunden hatte, als Laila damals seinen Heiratsantrag angenommen und er sich auf ein gemeinsames Leben mit ihr gefreut hatte. Er hörte sie kommen. In der Tür blieb sie stehen, blickte mit halb offenem Mund auf das Arrangement auf dem Tisch und lächelte dermaßen selig, dass der Anblick ihres Glücks ihm die Tränen in die Augen trieb.
„Das wäre doch nicht nötig gewesen“, protestierte sie.
„Doch, war es.“
„Und ein Geschenk – ich habe doch nicht Geburtstag und Weihnachten ist auch nicht.“
„Nein, aber ich hatte das Bedürfnis, dir außerhalb der ‚Pflichtveranstaltungen’ eine Freude zu machen.“
Sie eilte zum Tisch und wickelte das Päckchen aus. Zum Vorschein kam eine handgroße hölzerne Schatulle mit einem Blumenrelief. Henry hatte sie selbst geschnitzt.
„Oh, Henry! Das ist ja wunderschön!“
Er lächelte. „Warte, bis du den Inhalt siehst.“
Sie öffnete das Kästchen. Ihre Augen wurden groß, und sie schlug die Hand vor den Mund. Schüttelte sprachlos den Kopf. Als sie Henry ansah, leuchteten ihre Augen. „Die Einhorn-Brosche! Die war doch viel zu teuer!“
Laila hatte das filigran gearbeitete silberne Schmuckstück, dessen Augen und Hufe aus Saphiren bestanden, vor Monaten in der Auslage eines Juweliers gesehen und bedauert, dass sie es sich nicht zum Geburtstag wünschen konnte, weil es ihrer Meinung nach viel zu teuer war. Wieder einmal hatte sie vergessen, dass, um ihr eine Freude zu machen, nahezu nichts für Henry zu teuer war, selbst wenn er Monate oder sogar Jahre dafür sparen musste.
Er nahm Laila in die Arme. „Stimmt, für ein Geburtstagsgeschenk war es VIEL zu teuer.“ Er zwinkerte ihr zu. „Darum bekommst du es heute und nicht zum Geburtstag.“
Sie lächelte, streichelte seine Wange und gab ihm einen innigen Kuss. Er erwiderte ihn ebenso intensiv und hatte das Gefühl, dass die Sonne aufging.

Hier wird Henrys Liebe nicht nur durch seine Gefühle – Glück, das ihm die Tränen in die Augen treibt, Freude, Vorfreude – und dass er Laila „meine Wunderbare“ nennt, gezeigt, sondern auch durch die Mühe, die er sich gemacht hat, um ihr eine Freude zu machen. Er kocht ihr Lieblingsessen, legt ihre Lieblinsmusik auf und macht ihr ein außergewöhnliches Geschenk jenseits der „Pflichtzeiten“, auf das er längere Zeit gespart hat. Würde er sie nicht (mehr) lieben, würde er das nicht tun. Wir müssen also nicht ausdrücklich betonen, dass er Laila liebt oder all das aus Liebe tut, denn die Taten sprechen für sich und drücken genau das aus. Das tut auch sein Gefühl, dass durch ihren Kuss „die Sonne aufgeht“.
Weder Henry noch Laila sagen auch nur ein einziges Mal: „Ich liebe dich.“ Und Henry, aus dessen Perspektive wir diese Szene erleben, reflektiert an keiner Stelle, dass und/oder wie sehr er Laila liebt. Denn wenn die gezeigten Handlungen für sich sprechen, ist dieser „Wink mit dem Zaunpfahl“ gar nicht erforderlich.
Diese Szene charakterisiert außerdem die beiden Figuren, besonders Henry. Ganz subtil erfährt man, dass er handwerklich begabt ist und schreinert/schnitzt: Er hat die Holzschatulle für die Brosche selbst angefertigt. Er macht sich grundsätzlich Gedanken um/über Laila, z. B. wie er ihr eine Freude machen kann und ist bereit, für dieses Ziel einige „Umstände“ in Kauf zu nehmen: Subtil wird angedeutet, dass er einige Monate gespart hat, um Laila die teure Brosche zu kaufen. Das spricht für zielgerichtetes, evt. auch strategisches Denken/Planen. Ganz sicher kommt diese Eigenschaft auch in anderen Situationen zum Tragen, z. B. im Beruf. Durch solche „gezeigten“ Einflechtungen ist es unnötig, an anderer Stelle explizit über Henry zu sagen: „Er war handwerklich geschickt/ein guter Stratege.“ Denn das verdeutlichen seine Handlungen.
Laila wird durch ihre Meinung, die hübsche Brosche sei als Geschenk viel zu teuer, als bescheiden und/oder sparsam charakterisiert. Hätten wir bei Laila ein mangelndes Selbstbewusstsein zeigen wollen, hätten wir sie protestieren lassen, dass sie so eine teures Geschenk und den Umstand, dass Henry ihr die Schatulle gebastelt hat, doch gar nicht „wert“ sei. Aber sie ist sich ihres „Wertes“ (nicht nur für Henry) bewusst und kann das Geschenk deshalb mit ungetrübter Freude annehmen.
Auf diese Weise kann man den Charakter, die Eigenschaften einer Figur über einen ganzen Roman hinweg peu à peu aufbauen, ohne auch nur ein einziges Mal eine dieser Eigenschaften beim Namen nennen zu müssen. Show, don’t tell!
(Mehr zum Charakterisieren von Figuren thematisiert eine spätere Folge.)

  1. Akute Verknalltheit

Sylvie kämmte hektisch ihr Haar zum dritten Mal und hatte das Gefühl, dass es immer noch zu ungeordnet aussah. Sollte sie nicht besser eine andere Frisur wählen? Aber dafür war es zu spät, denn Jordan würde jeden Moment kommen.
Als es an der Tür klingelte, zuckte sie zusammen. Ihr Herz schlug schneller. Sie rannte hin, kam atemlos vor der Tür zum Stehen und strich noch einmal ihr Kleid glatt, ehe sie öffnete. Jordans tiefblaue Augen strahlten mit seinem Lächeln um die Wette. Ihr Bauch kribbelte, als er ihr eine langstielige dunkelrote Rose hinhielt und sich vorbeugte, um Sylvie zu küssen. Sei Kuss ließ ihr schwindelig und ihre Knie weich werden.
„Hallo, meine Schöne“, sagte er, nachdem sie sich atemlos voneinander gelöst hatten. Seine Stimme klang wie ein samtweiches Streicheln. „Du siehst umwerfend aus.“
„Danke, du auch.“ Ihre Stimme hörte sich heiser an. Und warum flüsterte sie?
Sie räusperte sich, hastete in die Küche, um die Rose ins Wasser zu stellen. Ihre Hände zitterten, sodass sie einen Teil des Wassers verschüttete. Egal! Sie stellte die Blume ins Wohnzimmer und eilte zu Jordan zurück. Verdammt, sie hatte ihn an der Tür stehen lassen und ihn nicht mal hereingebeten. Doch das schien ihn nicht zu stören, denn er ließ kein Auge von ihr. Seinem Gesichtsausdruck nach war Sylvie für ihn ein Mensch gewordenes überirdisches Wesen. Sie schluckte.
Eine Weile sahen sie einander an. Müssten sie nicht irgendwas tun? Was sagen? Aber sie hatten nur Augen füreinander und genossen, zusammen zu sein.
Schließlich räusperte Jordan sich. „Wollen wir gehen? Im Restaurant warten sie bestimmt schon auf uns.“
„Eh, ja.“ Sylvie nahm seine Hand.
Er hielt sie zurück und deutete auf ihre Handtasche, die auf dem Garderobentisch lag. „Wolltest du die nicht mitnehmen? Oder wenigstens deine Schlüssel?“
Sylvie fühlte, dass sie errötete. Wo hatte sie nur ihren Kopf? Himmel, Jordan musste denken, dass sie ein hirnloses Huhn war! Doch er lächelte verständnisvoll. Sie nahm Schlüssel und Handtasche und sah nicht einmal nach, ob sich darin auch ihr Smartphone befand.
Eine halbe Stunde später saßen sie beim Italiener. Sylvie bestellte etwas, an dessen Namen sie sich schon zwei Minuten später nicht erinnern konnte. Sie hatte keine Hunger, nicht mal Appetit, sondern sah nur Jordan. Er hielt ihre Hände in seinen, streichelte mit den Daumen ihre Handrücken und wiederholte mehrmals, wie sehr er sich auf das Treffen mit ihr gefreut habe.
Irgendwann redeten sie nicht mehr, sondern freuten sich nur an der Nähe zueinander, schwelgten in dem Gefühl von Euphorie und der erwartungsvollen Hitze, die spürbar durch ihre Körper strömte. Als sie endlich bemerkten, dass der Kellner inzwischen das bestellte Essen gebracht hatte, war es schon fast kalt geworden. Doch Sylvie hatte das Gefühl, es schmeckte göttlich – fast so herrlich wie Jordans Küsse.
„Magst du noch ein Dessert?“, bot er an, als sie aufgegessen hatte.
Sie nickte. „Aber keines, das sie hier im Lokal servieren“, flüsterte sie.
Er verstand augenblicklich, lächelte und ließ sich die Rechnung bringen.

Wir sehen an Sylvies Reaktionen, dass die Verliebtheit sie „kopflos“ gemacht hat und auch ihre Koordinationsfähigkeit einschränkt: Sie vergisst beinahe ihre Handtasche, verschüttet Wasser, weil ihre Hände zittern, und sie vergisst sogar, Jordan hereinzubitten. Beide haben nur Augen füreinander und sind so sehr aufeinander fixiert, dass vor lauter Turteln das Essen kalt wird. Trotzdem schmeckt es großartig – weil sie den Geschmack gar nicht bewusst mitbekommen. Sie sind zusammen, würden am liebsten miteinander verschmelzen und fühlen sich in diesem Moment absolut selig. Der nach dem Essen folgende Sex ist nahezu selbstverständlich.
Ursache für diese Reaktionen ist der gestiegene Spiegel des Hormons Dopamin im Blut, auch „Glückshormon“ genannt, denn, so unromantisch das klingen mag, akute Verknalltheit ist zunächst nichts anderes als die Wirkung eines rein biologischen Hormoncocktails. Der erzeugt sogar teilweise Symptome, die identisch sind mit einem durch Drogen verursachten Rausch. Und Liebeskummer – ebenfalls total unromantisch – ist in dieser Phase nichts anderes als eine körperliche Entzugserscheinung, weil das Dopamin nicht mehr produziert wird.
Akute Verliebtheit ist (noch) keine tiefe Liebe, wie Henry und Laila sie füreinander empfinden. Sylvie und Jordan befinden sich in der Phase davor, wo die Hormone verrückt spielen und die Natur darauf pocht, möglichst oft zur Fortpflanzung = Sex zu schreiten. Wenn aber die beiden ihre Sympathie füreinander vertiefen können und eine gemeinsame Basis finden, die über die Verknalltheitsphase hinaus Bestand hat, kann aus ihnen ein Paar werden, das bis ins hohe Alter glücklich zusammenbleibt.
Nebenbei: Auch in diesem Text wurde das Wort „Liebe“ oder „Verliebtheit“ nicht erwähnt, aber trotzdem wissen die Lesenden, dass die beiden hochgradig ineinander verschossen sind.
Und noch ein Hinweis. Einige Passagen wirken auf den ersten Blick auktorial, das heißt, als würde die Autorin aus ihrer Sicht erzählen, was beide tun: „Müssten sie nicht etwas tun? Aber sie hatten nur Augen füreinander und genossen zusammenzusein. (…) Irgendwann redeten sie nicht mehr, sondern freuten sich nur an der Nähe zueinander, schwelgten in dem Gefühl von Euphorie und der erwartungsvollen Hitze, die spürbar durch ihre Körper strömte. Als sie endlich bemerkten, dass der Kellner inzwischen das bestellte Essen gebracht hatte …“ Trotzdem ist das immer noch Sylvies Perspektive, denn sie identifiziert sich mit Jordan und ist unbewusst überzeugt, dass er dasselbe fühlt wie sie, weshalb sie ihre eigenen Gefühle ihm ebenfalls „andichtet“ und von ihnen beiden im Plural denkt.

Eine weitere Tücke bei der Beschreibung von Liebe ist, dass viele Autorinnen und Autoren (ebenso wie Lesende) Liebe mit Lust verwechseln: „Er sieht so toll aus, dass ich mich sofort in ihn verliebt habe!“ Mit Verlaub: Dieses Gefühl, auf ein „tolles Aussehen abzufahren“, ist keine Liebe. Hier hat das „tolle Aussehen“ (bitte beschreiben, damit sich die Lesenden bildlich vorstellen können, was an dem betreffenden Mann oder der Frau so „toll“ sein soll) den Ur-Instinkt des Fortpflanzungstriebes = die Lust auf Sex geweckt. Nicht mehr, nicht weniger. Erfahrungsgemäß folgt, sofern die beiden Menschen „zusammenkommen“, in der Realität ein One-Night-Stand oder eine heiße Affäre, die aber nur dann in einer Beziehung oder gar Ehe gipfelt, wenn sich herausstellt, dass die beiden über die körperliche Anziehung hinaus Gemeinsamkeiten haben, einander vom Wesen her sympathisch sind und von ihren Lebensentwürfen her zusammenpassen. Das ist aber allzu oft nicht der Fall.
Er will unbedingt Kinder, sie auf gar keinen Fall – egal wie toll der Körper der/des jeweils anderen und wie herrlich der Sex zwischen ihnen ist, aus den beiden wird kein (Ehe)Paar. Und falls doch, ist die Trennung bereits programmiert. Sie ist eine Großstadtpflanze (wenn auch nicht unbedingt partysüchtig), er ein überzeugter Naturfreund und nur auf dem Land glücklich – falls sie nicht einen Kompromiss finden, werden sie nie zusammen glücklich werden, egal wie toll der/die jeweils andere im Bett ist. Wenn Lust/Sex das Einzige ist, was die beiden verbindet, fehlt die Liebe. Denn wenn zwei Menschen einander lieben, sind sie selbst dann miteinander glücklich, wenn sie niemals (mehr) Sex miteinander haben. (Nebenbei: Das ist eins der Geheimnisse einer bis ins hohe Alter ungebrochen glücklichen Partnerschaft.) Ohne Liebe verlieren sie das Interesse aneinander, sobald die Lust eines Tages nachlässt (auch wenn das nicht wegen fortgeschrittenen Alters der Fall ist).
Ja, ich weiß: Gerade in vielen modernen Liebesromanen ist so eine Konstellation nicht nur der Ausgangspunkt der „Liebe“, sondern die Liebe stellt sich nach einer (meist sehr kurzen) Weile ein, und am Schluss des Romans leben sie „glücklich bis ans Ende ihrer Tage“. Doch genau das ist nicht nur realitätsfremd (was man damit entschuldigen könnte, dass ein Roman eben zur Unterhaltung dient und kein Lebensbericht ist), sondern es macht die Handlung auch sehr vorhersehbar und damit langweilig. Und hat man bereits zig Romane mit diesem „Schema F“ gelesen, winkt man gelangweilt ab, wenn im nächsten wieder ein Satz auftaucht wie: „Er/sie sah umwerfend (heiß/sexy) aus.“ Denn dann ist klar: Die beiden verlieben sich und haben ein Happy End.
Nebenbei: Dass die beiden Hauptfiguren von Liebesromanen immer ausnehmend schöne Menschen mit tollem Aussehen sind, ist ein mega-ausgelutschtes Klischee, das aber leider immer noch verwendet und bedauerlicherweise auch so veröffentlicht wird.
An dieser Stelle ein genereller Tipp: Wenn wir Liebesromane/-storys schreiben oder eine Liebesgeschichte als Nebenthema einflechten, sollten wir den (künftig) Liebenden ihr Glück nicht hinterher werfen! Wir sollten sie darum ringen, es sich mühsam erkämpfen, zwischendurch beinahe (oder tatsächlich vorübergehend) scheitern lassen. Das ist allemal interessanter und spannender, als wenn von der ersten Begegnung an feststeht, dass diese beiden „sich kriegen“. Auch Liebesromane brauchen bei aller „Leichtigkeit“ und Unterhaltsamkeit des Genres ein Mindestmaß an Spannung.
Und noch ein kleiner Tipp: Nirgends steht geschrieben, dass der erste Mann, die erste Frau, dem/der die Hauptfigur im Roman begegnet, die Person ist, mit der das Happy End erfolgt! Natürlich kann man das so aussehen lassen, doch dann – Überraschung! – taucht jemand anderes Interessantes auf, zu der/dem sich die Hauptfigur ebenso stark oder stärker hingezogen fühlt. (Das gibt dann herrlichen zusätzlichen Stoff für mehr als einen Konflikt!) Variante: Die beiden künftig Liebenden sind einander zunächst gleichgültig oder geraten sich erst mal gründlich in die Haare, bis sie im Laufe der Handlung Zuneigung entwickeln und am Ende feststellen, dass diese Zuneigung Liebe ist. Bei dieser Variante ist muss man aber darauf achten, dass diese Entwicklung glaubhaft (!) beschrieben wird! Keine Frau mit Selbstachtung verliebt sich in einen Mann, der sich permanent wie ein Arsch aufführt und sie entsprechend behandelt. Und kein Mann verliebt sich in eine Frau, die eine ausgemachte Egomanin ist und niemanden außer sich selbst „im Kopf“ hat. Nicht einmal dann, wenn sie Modelmaße und ein Riesenvermögen besitzt.

Noch eine Tücke: Gerade bei der Beschreibung von Liebe ist wichtig, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu beachten. Die meisten Männer halten es für einen Ausdruck ihrer Liebe, wenn sie der Frau teure oder überhaupt Geschenke machen, ihren Wagen eigenhändig reparieren, dafür sorgen, dass ihr Computer ein Upgrade bekommt und reibungslos funktioniert oder indem sie ihr am Sonntag das Frühstück ans Bett bringen. Die Worte „Ich liebe dich“ sagen sie einmal oder ein paar wenige Male zu Anfang der Beziehung, und die Frau weiß dann (so meinen sie), dass das für alle Ewigkeit gilt, weshalb sie das später in der Beziehung nicht oder nur selten wiederholen. Frauen sprechen das erheblich öfter aus und zeigen ihre Liebe durch Nähe und (kulinarisches) Verwöhnen (daher stammt das Sprichwort: „Liebe geht durch den Magen.“). Oder sie wollen (und tun das auch) als Gipfel des Ausdrucks ihrer Liebe „sein“ Kind zur Welt bringen.
Diese Unterschiede führen real oft zu Missverständnissen, die wir hervorragend für die Erzeugung von Konflikten nutzen können. Denn – siehe oben – wir sollten unseren Liebenden das Happy End niemals „nachwerfen“.

„Vokabeln“ fürs Beschreiben von Liebe:

  • Körperliche Symptome bei akuter Verliebtheit: Adrenalinausschüttung, die die Herzfrequenz erhöht, Ruhelosigkeit, erhöhter Blutdruck, beschleunigter Atem, Zittern, Fahrigkeit. Dadurch werden die „Schmetterlinge im Bauch“ erzeugt. Und ja, die Symptome sind identisch mit denen bei Angst! Sie fühlen sich wegen der zusätzlichen Dopaminausschüttung nur nicht angstmachend oder bedrohlich an. Damit einher gehen Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwäche usw. Ebenfalls ausgeschüttetes Neurothrophin sorgt für die Euphorie, Oxytocin erzeugt Vertrautheit und Verbundenheit und das Bedürfnis nach möglichst viel Körperkontakt in Form von Kuscheln und natürlich auch Sex. Die Knie werden weich („Pudding in den Beinen“), Schwindelgefühle können auftreten.
  • Bei langjähriger Liebe ist die Ausschüttung der Hormone extrem zurückgefahren (nach ca. 4 Jahren spätestens hat sich der biochemische Zustand im Körper normalisiert). Dafür treten ein intensives Gefühl von Wärme auf sowie ein starker Beschützerinstinkt (bei beiden Geschlechtern!), ein Gefühl von Zusammengehörigkeit. Glücksgefühle beim Zusammensein existieren nach wie vor, wenn auch nicht mehr ganz so heftig wie in der Verliebtheitsphase. Vertrautheit und Verständnisinnigkeit stehen im Vordergrund.
  • Psychische Symptome: Der/die Liebste füllt das gesamte Denken und natürlich Fühlen aus, wird als externer Teil der eigenen Person wahrgenommen. Man identifiziert sich teilweise mit ihr/ihm und fühlt sich ohne die geliebte Person „unvollständig“, sogar „wie amputiert“. (Das ist der Grund für das Syndrom des „gebrochenen Herzens“, das real existiert und mittlerweile als „Broken Heart Syndrom“ ein anerkanntes Krankheitsbild ist.) Reizbarkeit gegenüber anderen kann ebenso auftreten wie Ungeduld oder irrationale Verlustängste.
  • Basis für dauerhafte Liebe: 1. Vertrauen zueinander. Wer einem Menschen nicht vertraut, kann ihn auch nicht lieben. Misstrauen („Eifersucht“) und Liebe schließen einander hundertprozentig aus. Und nein, ein „bisschen“ Eifersucht gehört NICHT zur Liebe, sondern zeugt von mangelndem Selbstbewusstsein und/oder Misstrauen des/der Eifersüchtigen. Siehe oben: Wer der Partnerin/dem Partner vertraut, kommt gar nicht auf den Gedanken, er/sie könnte einen betrügen, womit jeder Grund für Eifersucht entfällt. 2. Die Balance zwischen Nähe und Distanz. Wie Ebbe und Flut muss auf eine Zeit intensiver Nähe wieder eine Zeit der Distanz folgen, damit die beiden Liebenden die gegenseitige Anziehungskraft (wieder) spüren können. Neben Untreue ist ein permanentes aufeinander Hocken und alles gemeinsam zu tun der häufigste „Liebestöter“. (Aus diesem Grund empfehlen Paartherapierende schon seit Jahrzehnten, dass jeder in der gemeinsamen Wohnung ein eigenes Zimmer haben sollte, gern auch ein eigenes Schlafzimmer, um einen Rückzugspunkt zu haben. Dies wird als essenziell fürs seelische Gleichgewicht erachtet.) Eigene Unternehmungen ohne den Partner/die Partnerin gehören ebenfalls zu einer gesunden Beziehung (Stichwort „Männer-/Frauenabende“). 3. Natürlich die sexuelle Treue. Aber wer einen Menschen wirklich liebt, ist gegen jede sexuelle Versuchung gefeit.
  • Synonyme für Liebe: Zuneigung, Leidenschaft, Passion, Innigkeit, Herzenswärme, tiefe/s Gefühl/e, Gunst, Hingabe, Gewogenheit, Herzlichkeit, Sinnlichkeit, Zärtlichkeit, Ekstase, (Herzens-)Feuer, Liebeslust, Verliebtheit, Verknalltheit, (innere) Hitze. Veraltet: Huld (Adjektiv: hold).

In der nächsten Folge: Mut

Weitere Folgen von „Show, don’t tell“:

  • Gefühle beschreiben: Schock
  • Landschafts- und Ortsbeschreibungen

One thought on “Von der Kunst des Prosaschreibens – 16. Show, don’t tell! – Gefühle III Liebe

  1. Hallo, Mara,
    wieder einmal eine Anleitung, die ich mit Interesse, Vergnügen und … Begeisterung gelesen habe. Begeisterung deshalb, weil Deine “Häppchen” für gutes Schreiben nicht nur schriftstellerisch beste Zutaten bieten, sondern auch noch appetitlich verpackt – sprich: formuliert – sind. Eine Ergänzung darf ich anbringen: Aus meiner Sicht müssen sich eine Autorin, ein Autor darüber klar sein, dass Gefühle (hier die die Liebe – egal, an welchen Deiner Beispiele sie sich orientiert) sich durch die Handlung ziehen und nicht nur einmal kurz erwähnt werden. Beim Nackenbeißer ist das mit der Liebesbeziehung selbstverständlich, aber beim Schreiben in anderen Genres verfällt man vieleicht dem Reiz, an nur einer einzigen Stelle einen solchen Höhepunkt einzubauen. Wenn eine Liebesbeziehung z.B. in einem Krimi keine für die Handlung oder den Charakter einer Figur bestimmende Rolle spielt: besser weglassen. Dabei ist es genau wie mit dem Sex (Danke für die angesprochene Trennung und Unterscheidung zwischen Liebe und den eher körperlichen Bedürfnissen!). “Sex sells.” Ein ebenso pauschales wie verführerisches Klischee! Wenn es weder Handlung noch Charakterentwicklung voranbringt, stört es. Vor längerer Zeit las ich nacheinander zwei Thriller, bei denen ich durch eine zwei und eine drei Seiten lange Detailbeschreibung eines Geschlechtsaktes überrascht wurde. Ohne Vorankündigung, ohne sachlichen bzw. handlungsbezogenen Grund und ohne Fortsetzung meinten beide Autoren, dieses schriftstellerische Element ihren Leserinnen und Lesern zumuten zu müssen. In meinen Augen haben beide Bücher dadurch an Niveau verloren. Diese kleine Warnung wollte ich den Leserinnen und Lesern Deiner Rubrik mit auf den Weg geben, bevor sie sich auf Grund der guten Anleitungen, Gefühle auszudrücken, entweder in einen vagen Genremix begeben oder tolle Gefühlsausdrücke (Das gilt ja nicht nur für Liebe!) an Stellen in ihrem Buch niederschreiben, wo sie nicht hingehören – oder wo sie nicht konsequent fortgeschrieben werden. Auch hier gilt “Kill your Darlings!”
    Auch für diesen eindrucksvollen Schreibtipp ein herzliches Dankeschön!
    Viele Grüße
    Michael Kothe, Autor

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