Mara Laue: Von der Idee zum fertigen Text VSS Verlag

Von der Kunst des Prosaschreibens – 13. Show, don’t tell! – Teil 4

Atmosphäre schaffen, Stimmung erzeugen

von Mara Laue

Romanszenen leben von einer für die Lesenden „fühlbaren“ Atmosphäre, von nachempfindbaren Stimmungen. Die „Stimme aus dem Off“, die Dinge einfach nacherzählt oder aufzählt, ist out (Ausnahme: Kurzgeschichten). Gutes Beschreiben ist die Kunst, mit Worten Bilder in die Köpfe der Lesenden zu malen, die möglichst so konkret sein sollten wie die Betrachtung der Bilder in einem Film. Nein: noch konkreter, denn auf die Dinge, die wir nach den unten stehenden Beispielen beschreiben, achten wir in Filmen oft gar nicht, weil Filme nur Bilder (und Dialoge) übermitteln.
Dass eine Figur im Film den Duft ihrer Umgebung intensiv wahrnimmt, sehen wir nur, wenn die Person auffallend in der Luft schnuppert und daraufhin lächelt oder angewidert das Gesicht verzieht, begleitet von einer Bemerkung wie: „Himmel, was stinkt denn hier so entsetzlich?“ Aber welche Gefühle das in ihr auslöst, können wir meistens nicht „miterleben“, weil die Darstellung im Film in uns als Betrachtende keine auslöst. In Texten mit guter Beschreibung entstehen gerade durch diese nicht nur Gefühle, sondern wir spüren auch die Atmosphäre und Stimmung, in der die Figuren sich befinden.

Vögel zwitscherten im Garten um die Wette, und der Duft der Blumen und Sträucher erfüllte die Luft. Das Krächzen einer Krähe brachte die Vogelstimmen schließlich zum Schweigen.

Für eine Kurzgeschichte genügt eine solche „Beschreibung“ in der Regel völlig. Im Roman sollten wir den Lesenden aber ein „Bild“ malen: Was für Vögel zwitschern? Davon hängt der Klang des Gezwitschers ab, das wir uns vorstellen (sollen). Welche Blumen und Sträucher duften? Und duften sie süß oder stechend oder herb?

Ein Rotkehlchen zwitscherte eine Melodie, die wie eine Frage klang. Ein anderes fühlte sich aufgefordert, ihm zu antworten, und ein fröhliches Duett entstand. In das sich die Stimme eines Buchfinken mischte, der mit ihnen um die Wette trällerte. Die Luft war erfüllt vom süßen Duft der blühenden Rosen, in den sich ein strenger Hauch von Lavendel mischte, begleitet vom Odeur des Jasminstrauchs an der Grundstücksgrenze. Das Krächzen einer Krähe brachte den Vogelgesang abrupt zum Schweigen.

Jetzt hat man einen sehr konkreten Duft „in der Nase“ und, sofern man schon einmal Rotkehlchen und Buchfinken singen gehört hat, auch eine sehr klare Vorstellung, wie deren Gesang klingt. Ohne dass das ausdrücklich erwähnt wird, haben wir das Bild eines sonnigen Sommertages vor Augen, fühlen uns vielleicht sogar in dem Garten unter den Rosen sitzen und genießen den Gesang der Vögel und die Wärme. Und die krächzende Krähe, die die singenden Vögel zum Schweigen bringt, wirkt auch auf uns Lesende wie eine „kalte Dusche“. Mit solchen wenigen, aber konkreten Nennungen erzeugen wir eine Stimmung, eine fühlbare Atmosphäre.

Eine weitere Sturmböe warf Lisa gegen die Felswand. Der Schmerz des Aufpralls fuhr wie eine Messerklinge in ihre Schulter, den Rücken hinunter bis zur Hüfte. Eiskristalle fegten ihr ins Gesicht, schmolzen auf der Haut und sickerten als kleine Rinnsale in ihren Kragen. Der Wind verwandelte die unangenehme Nässe in einen gefühlten Mantel aus Eis. Lisa zitterte, dass ihre Zähne aufeinander schlugen und hatte das Gefühl, dass auch ihre Knochen zu dem Eis um sie herum erstarrten.

Und wir zittern mit der armen Lisa, fühlen ihren Schmerz und hoffen, dass sie möglichst bald irgendwo ins Warme kommt. Dieses Gefühl hätten wir ohne die Beschreibungen im Text nicht:

Eine weitere Sturmböe warf Lisa gegen die Felswand. Eiskristalle fegten ihr ins Gesicht, schmolzen auf der Haut und sickerten als kleine Rinnsale in ihren Kragen. Lisa zitterte, dass ihre Zähne aufeinander schlugen.

Hier haben wir zwar eine „Erzählung“ dessen, in welcher Situation sich Lisa befindet, aber keine fühlbare Atmosphäre. Diese Art Aufzählung der Ereignisse wirkt „blutleer“. Aber auch hier gilt: In Kurzgeschichten kann man sie problemlos verwenden.

Natürlich beschreiben wir die Dinge nur dort ausführlich, wo das in den Text passt und nicht die Handlung aufhält. Doch wenn wir z. B. auf die Natur Bezug nehmen, sollten wir auch „im Kleinen“ so konkret wie möglich sein.
Ein Nachtvogel schrie. Besser: Eine Eule schrie. Oder: Der klagende Ruf eines Käuzchens schnitt durch die Luft. Denn „Nachtvögel“ gibt es viele, und eine Eule gibt ganz andere Laute von sich als z. B. eine Nachtigall (die nachtaktiv ist).

Das Laub der Bäume färbte sich schon gelb und rot. Besser: Die Blätter der Birken leuchteten golden, das Laub des Ahorns setzte dazwischen flammenrote Akzente.

Die heiße Wüstensonne knallte auf die Felsen, sodass die Reflexion des Lichts blendete. Besser: Die heiße Wüstensonne knallte auf die Granitfelsen, sodass die Reflexion des Lichts von den winzigen Glimmereinschlüssen im Gestein blendete.
Wichtig bei allen Beschreibungen ist, dass sie ein lebendiges Bild im Kopf der Lesenden erzeugen oder Geräusche in deren „Ohren“. „Ein Nachtvogel“ kann jede mögliche Form von „Vogelschrei“ oder auch Gesang erzeugen (auch die verschiedenen Eulen- und anderen Nachtvogelarten haben unterschiedliche „Stimmen“). „Das Laub der Bäume“ deutet an, dass es sich um dieselbe Art von Bäumen handelt, man also eine Monokultur vor sich hat – aber von welcher Laubbaumart? Benennt man die Baumarten, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Und die Wüstensonne lässt die Felsen ohne eine konkrete Benennung der Gesteinsart und ihrer Besonderheit (Glimmer) einfach nur irgendwelche beliebigen (hellen) Felsen sein. Weil Granit als besonders hartes Gestein bekannt ist, drückt diese „Härte“ indirekt auch die Mühsal aus, die die Personen haben, die sich durch diese unwirtliche Gegend quälen müssen.

Konkretes Benennen gilt natürlich auch für Tiere. „Der Hund/die Katze“ bezeichnet lediglich eine unspezifische Tierart. Besonders „der Hund“ könnte riesig (Deutsche Dogge) oder winzig (Chihuahua) sein, glatthaarig (Labrador) oder „gelockt“ (Pudel), mit nach unten geneigter Hüftpartie (Schäferhund) oder besonders hohen Beinen (Irischer Wolfshund). Und auch bei Katzen gibt es Unterschiede in Gesichtsform und Felllänge. Wenn wir „Siamkatze“ schreiben, „sehen“ alle, die Siamkatzen kennen, im Geist sofort ein kurzhaariges Tier mit hellem Fell, dunkler(er) Gesichtsmaske und leuchtendblauen Augen. „Die/eine Katze“ dagegen lässt kein Bild entstehen, vielmehr nur ein sehr unspezifisches.
Wie gesagt: Für Kurzgeschichten reichen die unspezifischen „Kurzfassungen“ grundsätzlich aus, denn Kurzgeschichten leben ihrer Bezeichnung nach von der Kürze, bei der/für die alles für die Handlung Unwichtige weggelassen wird. In einem Roman sollten wir, wenn es passt, für die Lesenden „Wortbilder“ malen. Konkrete Benennung einer Tier-, Blumen-, Baumart und so weiter reicht oft schon aus, um eine Atmosphäre oder Stimmung zu erschaffen und vor allem ein lebendiges Bild entstehen zu lassen.

In der nächsten Folge: Der Einfluss der Perspektive

Weitere Folgen von „Show, don’t tell“:

  • Gefühle beschreiben: Angst, Hass, Liebe, Mut, Schock (5 Folgen)
  • Landschafts- und Ortsbeschreibungen

3 thoughts on “Von der Kunst des Prosaschreibens – 13. Show, don’t tell! – Teil 4

  1. Hallo, Mara,
    alles Gute für 2022! Und danke für einen weiteren Aspekt von “show, don’t tell”. Alle fünf Sinne ansprechen! Das ist das Geheimnis einer gut geschriebenen Szene. Ich muss es wohl richtig gemacht haben, denn das neue Jahr hat mit einem Autorenvertrag über meinen Debüt-Krimi begonnen. Deine Tipps haben mir bei der Überarbeitung als Gedankenstütze geholfen, denn Beispiele setzen sich im Gedächtnis besser fest als ein abstraktes Regelwerk. Gespannt warte ich auf Deine Landschafts- und Ortbeschreibungen, werde aber mit der Überarbeitung meines Fantasyromans vorher anfangen und Deine Ausführungen später zur Kontrolle heranziehen.
    Viele Grüße
    Michael

    1. Guten Abend,
      den Kommentar werden wir an die Autorin weitergeben. Der nächste Teil wird morgen seinen Platz auf dem Blog finden!
      Herzl. Gruß Die Redaktion

    2. Herzlichen Glückwunsch zum Vertrag! Und danke für das Lob! Ich tue mein Möglichstes. Bei den Landschafts- und Ortsbeschreibungen verrate ich u. a. das “Geheimnis”, wie man z. B. eine Stadtrundfahrt beschreibt, ohne dass sie zum “Stadtplan in Prosa” wird. Denn gerade bei Regionalkrimis ist ein (nicht nur vom Lektorat) oft vorgebrachter Vorwurf, dass die “Beschreibungen” einer Stadt sich in der Aufzählung von Straßennamen und Sehenswürdigkeiten erschöpfen. Aber das lässt sich elegant vermeiden. 😉
      Beste Grüße
      Mara

Schreibe einen Kommentar zu Michael Kothe Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert